: Blaue Schleifen
Tanzen kannst du auch woanders: Die Elektronikbastler Ted Milton und Loopspool spielen heute im Podewil
Es war einmal eine Zeit, in der Pop noch nicht Blümchen hieß, sondern noch sozialistisch war, und in der der Untergrund mitunter tatsächlich in der U-Bahn lag. Blurt passten in diese Zeit, Anfang und Mitte der 80er, weil sie immer ein wenig erinnerten an einen schwer intellektuell gemeinten französischen Film, der in der Londoner Underground spielte und von Warhol inspiriert schien: große, mächtige Verzweiflung in viel zu guten Anzügen. Nervöses Saxofongetute in endlosen unterirdischen Schächten. Deprimierend, aber klasse anzusehen, ausweglos, aber es war ja zum Glück nicht das eigene Leben.
Blurt, das Trio, bei dem Ted Milton hauptberuflich Saxofon spielte und ins Mikro krächzte, waren so etwas wie der Punk-Gegenentwurf zu den Lounge Lizards, die ja wiederum so etwas wie der Punk-Gegenentwurf zum späten Miles Davis waren, der ja wiederum der Punk-Gegenentwurf zu allem . . . Das führt zu weit. Vor allem, um eine Musik zu beschreiben, die allein und einzig davon lebte, dass sie penetrant um sich selber kreiste. Blurt spielten einen strudelartigen, hypnotischen No Wave (so nannte man das damals), der sich auf ständige Wiederholung und Monotonie gründete.
Konzerte des Trios aus London waren entweder nicht zu ertragen oder unvergesslich – je nach Standpunkt, Stimmung und natürlich den eingesetzten Drogen. Da überrascht es nicht, dass Milton nach jahrelanger Funkstille nun ausgerechnet in elektronischen Zusammenhängen wieder auftaucht. Diese Musik, traditionell auf Loops, also der programmierten Wiederholung basierend, scheint die Blurt’schen Prinzipien scheinbar schon ganz automatisch zu vollziehen. Für seine aktuelle Veröffentlichung „Sublime“ hat sich Milton zusammengetan mit Andreas Gerth alias Loopspool, der vor allem als Elektronikbastler des Tied & Tickled Trios aus Weilheim bekannt wurde. Die Zusammenarbeit lief über Tapes, die zwischen Landsberg und London hin und her gingen.
Für diese ja eigentlich auf Akkumulation beruhende Methode, die sonst gerne zu überladenen Tracks führt, sind die Stücke auf „Sublime“ erfrischend spartanisch geraten. Tanzbare Tracks sucht man vergeblich, von Songs ganz zu schweigen. Reduziert wird auf das Nötigste, auf das, was es braucht, eine Stimmung zu generieren. Nun kommt Miltons Saxofon kaum noch vor, und nicht nur manchmal verschwindet auch der Rest der Musik nahezu vollständig. Dann irrt nur noch seine Stimme verloren durch eine verhallte, stahlblaue Atmosphäre aus feindlichen Sounds. Metallisches Schaben wechselt sich ab mit dem Piepsen elektrischer Einheiten.
Auch wenn das Sax wieder auftaucht, schlägt es stellvertretend tatsächlich noch einmal die eigentlich längst zu den Akten gelegte archaische Schlacht zwischen Mensch und Maschine. Dieser Ansatz mag nun arg altmodisch sein, ist aber noch einmal eindrücklich und beklemmend, paranoid und klaustrophobisch umgesetzt.
THOMAS WINKLER
Heute ab 20 Uhr, Podewil, Klosterstr. 68–70
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