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Keine reinen Russland-Klischees

■ Orgelmusik, mongolischer Obertongesang, Pro-Kirchenwiederaufbau-Chor: Russische Tage mit Greenpeace-Einlage in der Altonaer Friedenskirche

Die Frage ist, ob der Frieden dadurch, dass man sich rückwärts wendet, wirklich schneller kommt. Ob es der Völkerverständigung zuträglich ist, dem zeitgenössischen Bewohner dieses unseres Landes Musik des vorigen Jahrhunderts zu präsentieren, ohne nachhaltig den Eindruck eines allzu folkloristisch geprägten Weltbildes zu erwecken. Oder ob es vielmehr absichtsvoll zelebrierte Russland-Klischees sind, die die Organisatoren der Russischen Tage bedienen wollen, eben um deren Absurdität aufzuzeigen.

Denn von der Straße in die Kirche holen wollen – unter anderem; so jedenfalls die Vorankündigung – die Organisatoren der Russischen Tage in der Altonaer Friedenskirche das Trio Sibir, das Kammerensemble Lyra und den Moskauer Kirchenchor Tichwinskaja holen. Auch haben sie eine Prise mongolischen Obertongesangs – mit entsprechender Geräuschkulisse regelmäßig in der Mönkebergstraße zu belauschen – in den kirchlichen Raum geholt.

In einem bunt gemischten Programm werden die Russischen Tage präsentiert, von russischer Orgelmusik über russische Folklore des Trio Sibir, das mit traditionellen russischen Instrumenten nicht geizen wird, bis zum Kapcha-Duo werden die Darbietungen reichen, das russische Romanzen des 19. Jahrhunderts dem geneigten Westeuropäer zu Gehör bringt; vor Jahren hat das Duo auch bereits im Monsun-Theater gastiert.

Doch in eindimensional romantisierendem Sinnen verharrt das Programm, auch wenn es streckenweise ein wenig danach aussieht, dann doch nicht ganz. Natürlich lässt sich fragen, ob die Präsentation allzu romantischer, aus der Realität fernstens wegtragender Lieder den problemlösenden Fähigkeiten des menschlichen Hirns verschärft zuträglich ist. Fest steht aber auch, dass der so entrückte Kirchenlieder intonierende Tichwinskaja-Kirchenchor aus Mokskau seit Jahren Gelder für den Wiederaufbau der Moskauer Tichwinskaja-Kirche einzuspielen sucht, die zu Stalinismuszeiten geschlossen und zu einer Metallfabrik umfunktioniert worden war; hier verlieren sich die Akteure, so entrückt auch die Ären, denen ihre Präsentationen entstammen, sein mögen, keineswegs in der Vergangenheit.

Und ob man die Integration des mongolischen Obertongesanges ins Programm als immer wieder mal gern gehörter Exotismus oder als Präsentation der Minderheiten innerhalb des eigenen Landes auffasst, bleibt jedem selbst überlassen. Ganz ausblenden, so viel steht fest, wollen die Organisatoren der Russischen Tage die gegenwärtige Situation in Russland wohl nicht: Ein Vortrag über die politische und soziale Situation in Russland wird, gehalten von einem Greenpeace-Mitarbeiter, das Programm abrunden und einen vielleicht doch noch kritischen Ausblick auf die Zukunft bieten, bevor der ökumentsche Gottesdienst die disparaten Teile liturgisch wieder zusammenzubringen sucht. Petra Schellen

Russische Orgelmusik: Donnerstag, 20 Uhr; Trio Sibir: Freitag, 21 Uhr; Russische Romanzen (Tamara/Vladimir Kapcha): Sonnabend, 21 Uhr; Kammerensemble Lyra: Sonntag, 19 Uhr; Kirchenchor Tichwinskaja: Montag, 20 Uhr; Mongolischer Obertongesang (Yat Kha): Dienstag, 20 Uhr; Greenpeace-Vortrag: Sonnabend, 18. November, 19 Uhr.

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