: Seelen sollen schneller heilen
Weiterer Bettenabbau beunruhigt Hamburger Psychiater ■ Von Sandra Wilsdorf
Time is money, weniger Zeit ist weniger Geld. Mit dieser Wirtschaftsweisheit bekommen es auch Ärzte immer mehr zu tun. Jetzt schlagen Hamburger Psychiater Alarm, weil sie es nicht mehr für vertretbar halten, dass psychisch kranke Menschen immer früher aus den Krankenhäusern entlassen werden, damit Kassen und Kliniken Geld sparen. Nach einem internen Papier des Klinikums Nord/Ochsenzoll sollen bis 2005 allein hier 100 von 400 allgemeinpsy-chiatrischen Betten abgebaut werden. Begründet wird das mit „gleichzeitig zu vollziehendem Verweildauerrückgang von derzeit etwa 26 Tagen auf 20 bis 21 Tage“. Seelen sollen schneller heilen.
Von dieser sinkenden Verweildauer geht das Gutachten aus, das Grundlage für die Krankenhausplanung bis 2005 ist. Fachleute melden Zweifel an: „Wir haben schon jetzt zunehmend Klienten, die aus der Klinik entlassen werden, obwohl sie noch akut krank sind“, klagt Joachim Schwerdtfeger, im Vorstand der Hambur-gischen Gesellschaft für soziale Psychiatrie und Geschäftsführer von „Nussknacker“, einer Einrichtung zur ambulanten Betreuung psychisch Kranker in Altona.
Viele dieser Patienten würden einen „abenteuerlichen Medikamentencoktail“ verordnet bekommen, der ruhig stelle und süchtig mache. Etliche wären nach wenigen Tagen wieder in der Klinik. „Das ist zwar gut für die Statistik, aber schlecht für die Patienten und ihre Angehörigen.“ Auf genau deren Rücken würde sich der Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), dem das Klinikum Nord gehört, sanieren.
Der LBK erklärt kürzere Krankenhausaufenthalte mit medizinischem Fortschritt, nebenwirkungsärmeren Medikamenten und besserer Vernetzung. „Bettgestelle und lange Verweildauer sind nicht erfolgversprechend für eine moderne Psychiatrie“, sagt LBK-Sprecher Siegmar Eligehausen. Darin sind sich eigentlich auch alle einig. Aber: „Die derzeitigen 26 Tage wären vertretbar, wenn das außerklinische System ausgebaut werden würde“, sagt Schwerdtfeger. Daran aber zweifelt er.
Schon im Sommer hatte die „Zweite Hamburger Erklärung zur Psychiatrie“ gefordert, dass durch Bettenabbau eingespartes Geld im außerklinischen Versorgungsbereich eingesetzt werde. Außerdem verlangten die Fachleute, dass endlich ein von der GAL initiierter Bürgerschaftsbeschluss von 1998 umgesetzt wird. Danach sollten in Hamburg weitere Kapazitäten entstehen, damit weniger Patienten als bisher außerhalb Hamburgs betreut werden müssen. Unterschrieben haben die Erklärung unter anderem die Psychiatrie-Oberärzte fast aller Hamburger Krankenhäuser.
SPD-Gesundheitssenatorin Karin Roth muss wieder den Doppelrollen-Spagat versuchen: Als Gesundheitssenatorin muss sie den medizinischen Versorgungsauftrag durchsetzen, der LBK wünscht sich von seiner Aufsichtsratsvorsitzenden aber vermutlich eher sanierende Entscheidungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen