pampuchs tagebuch: Saugnapf sucht Pfirsich
Kaum bin ich von zwei Wochen fröhlicher Filmarbeit in der Dominikanischen Republik zurück, umschlingt mich im heimischen Deutschland mit hartem Griff die Leitkultur. Man kann ja heutzutage nicht mal mehr ein paar Tage ins Ausland büxen, schon hauen an der Heimatfront irgendwelche Merzkekse auf die nationale Pauke. Dabei habe ich in der Karibik beim Vertreten der Überlegenheit deutschen Geistes mitunter einige Schwierigkeiten gehabt. Haben mich doch in den zahlreichen Internetcafés, die dort wie Pilze aus dem Boden schießen, kleine karibische Dreikäsehochs ein ums andre Mal ganz schön alt aussehen lassen. Ohne die Hilfe dieser völlig ungeleiteten Knirpse, die den Touristen in den Cafés helfen, mit den Tücken der dominikanischen Netztechnik fertig zu werden, wäre ich ziemlich verloren gewesen. Kinder statt Inder, das hat ja irgendwie auch schon Kolumbus in der Karibik entdeckt – nur eben ganz ohne Leitkultur.
Wie ich aber heimkomme, haut mir ausgerechnet meine (britische) Lieblingscousine R. aus Berlin unsere deutsche Leitkultur um die Ohren. „wer-weiss-was.de“ deklamierte sie mir feierlich ins Telefon, als ich sie, Rat suchend in einer Frage, die jetzt nichts zur Sache tut, konsultierte. Mit der Adresse werde sie jetzt immer schnell und effektiv ihre Fragen an die Welt klären. Und zwar mit Hilfe ihres Computers (der im Übrigen gerade für sie ein einziges großes Fragezeichen darstellt). Das liebe ich an Deutschland. Andere machen Ferkeleien und Chats im Netz, Reklame und eitle Selbstdarstellung, wir aber, Dichter und Denker allesamt, nutzen das Internet zur Fortbildung, zum Austausch von Wissen, zur Vervollkommnung unseres Geistes, kurz: zur Mehrung der Kultur. Und: Ohne Experten läuft bei uns aber auch gar nichts. Und die gibt es eben bei www.wer-weiss-was.de.
„wer-weiss-was versteht sich als umfassender Kommunikationsdienst zur Vermittlung von Experten. Der Dienst basiert dabei auf dem vielfältigen Erfahrungsschatz unserer Anwender, dem Gegenseitigkeitsprinzip sowie dem Gemeinschaft(s)-Vertrauen“, heißt es in der Selbstdarstellung. „Hier kannst du nach Menschen suchen, die sich mit einem bestimmten Thema auskennen, und sie direkt per E-Mail um Rat fragen.“ Und da jeder, wie mir meine Base glaubhaft versichert, „ja irgendwas weiß“, kann sich die Gegenseitigkeit auch entfalten. Wer seine Kenntnisse anbietet, kann sich vom Anfänger über den Interessierten und Fortgeschrittenen bis zum Experten selbst einstufen. Der Bescheidenheit sind also Tür und Tor geöffnet.
Ich habe natürlich sofort mein umfangreiches Wissen in den Dienst der Gemeinde gestellt. Leider hat sich bis jetzt noch kein Schwein gemeldet. Offenbar will niemand etwas über Lateinamerika wissen. Auch R.s Wissen um die chinesische Literatur harrt noch der Abschöpfung. Sie selbst hingegen hat in einer Reihe von kniffligen Übersetzungsfragen bereits viele kundige Antworten bekommen und schwört auf wer-weiss-was. Ist ja auch wirklich eine gute Idee, so locker und schnell mit den Geistesgrößen unseres Landes in kuscheligen E-Mail-Kontakt treten zu können. Eine ganz besonders hübsche Idee der Betreiber ist übrigens die automatische Passwortzuteilung. Die hat etwas von einer mystischen Personality-Lotterie. Ich selbst wurde beispielsweise ohne langes Bedenken zum „Pfirsich“ erklärt. Und auch bei R. hat die automatische Persönlichkeitserkennung funktioniert: Sie wird als „Saugnapf“ geführt. Wer weiß, was die sich dabei gedacht haben. „Saugnapf sucht Pfirsich?“ Rätselhafte deutsche Leitkultur.
THOMAS PAMPUCH
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