: Banditen ohne Cleverness
Von Fidel geschwängert, von Fidel verlassen. Aber die Liebe bleibt: Wilfried Huismanns Dokumentarfilm „Lieber Fidel“ folgt der fast unglaublichen Lebensgeschichte der deutschen Castro-Geliebten und naiven US-Agentin Marita Lorenz
Schön war die Zeit: Die kubanische Revolution war gerade ein paar Wochen alt, die Kapitänstochter jung und umwerfend hübsch, der charismatische Revolutionär ein Frauenschwarm, der nach dem Motto „Make Love and Revolution“ lebte. Als die Deutsche Marita Lorenz und der Kubaner Fidel Castro sich auf Papas Schiff, der „Berlin“, zum ersten Mal trafen, hielten sie Händchen – heimlich, unter dem Tisch, damit es keiner merkte. Sie war nicht die Einzige, die damals davon träumte, an der Seite des bärtigen Rebellenführers die Königin von Kuba zu werden.
Als Marita bereits von Fidel schwanger war, wurde sie eines Tages aus dem gemeinsamen Hotelzimmer entführt und gezwungen, eine Abtreibung vorzunehmen. So erzählt Marita Lorenz die Geschichte vierzig Jahre später dem Bremer Filmemacher Wilfried Huismann: Sie sei unter Drogen gesetzt worden und habe anschließend drei Tage blutend allein in einem Hotelzimmer gelegen. Ob die Abtreibung auf Anordnung von Fidel oder auf Betreiben anderer Revolutionäre vorgenommen wurde, ob die CIA ihre Finger im Spiel hatte oder ob Marita selbst die Abtreibung wollte, wie der damalige Castro-Vertraute Jesús Yanez Pelletier behauptet? Eine ziemliche Räuberpistole, die Marita Lorenz in „Lieber Fidel“ auftischt: Nach der Trennung von Fidel habe die CIA die schöne Ex-Geliebte angestiftet, den Revolutionsführer zu ermorden. „Sie kriegten mich rum mit dem Foto von dem toten Baby“, sagt die heute 61-Jährige. Doch das Schellfischgift, das sie Fidel heimlich in den Drink tun sollte, habe sie stattdessen vernichtet.
Den Auftrag hatte sie zwar nicht ausgeführt, doch wen der nordamerikanische Geheimdienst einmal in den Klauen hat, lässt er nicht so schnell wieder los. Marita Lorenz trainierte gemeinsam mit 5.000 Soldaten in den Everglades-Sümpfen für den Untergrundkampf gegen Kuba, klaute mit den Kameraden Waffen und fuhr, wie sie behauptet, zusammen mit Lee Harvey Oswald 1963, am Tag vor dem Attentat auf John F. Kennedy, nach Dallas. Später spionierte sie, getarnt als Hausmeisterin in New York, sowjetische und chinesische Diplomaten aus.
Kein Wunder, dass Wilfried Huismann sich sagte: „Lass die Finger davon; das ist unseriös“, als er vor sieben Jahren auf die in den USA erschienene Biographie von Marita Lorenz stieß. Doch der Filmemacher ließ sich schließlich von den Fotos und Dokumenten, die Marita Lorenz ihm zeigte, überzeugen und beschloss, die unglaubliche Geschichte dieses Lebens zu dokumentieren. Für den Film „Lieber Fidel“ fuhr er gemeinsam mit ihr nach Florida und nach Kuba, an die wichtigsten Schauplätze ihres Lebens. Merkwürdig ungerührt erzählt Marita Lorenz in ihrem eigentümlichen norddeutsch-amerikanischen Idiom vom Trainingslager in den Everglades: „Sie haben uns immer beschissen.“ Dennoch seien sie „happy bandits“ gewesen, die Rock ’n’ Roll hörten, wenn sie Waffen klauten oder zu einem Mord fuhren.
Offensichtlich brauchen die Geheimdienste dieser Welt solche Desperados. Ihren Sohn spannte die Agentin schon früh in die Schnüfflertätigkeiten für die USA ein: Er half ihr, den Müll der ausländischen Diplomaten in New York zu durchsuchen. Ihre Tochter hält heute Distanz zur Mutter und sagt, sie habe gelernt, ihr viele Dinge zu verzeihen.
Huismann und seine Kollegen haben Maritas unglaubliche Erzählungen gegenrecherchiert. Sie sprachen mit einstigen Ausbildern und Waffenbrüdern der fröhlichen Banditin. Deren Aussagen rücken manches in ein anderes Licht, doch im Großen und Ganzen bestätigen sie ihre Erinnerungen. Vor allem bestätigen sie den Verdacht, dass die Agentin bei all ihren Tätigkeiten immer naiv blieb – ein Mensch, der sich leicht ausnutzen ließ. Marita habe, ohne es zu wissen, für den israelischen Geheimdienst Mossad gearbeitet, behauptet ihr einstiger Ausbilder Gerry Hemming. Unbegreiflich ist allerdings, warum Huismann in diese so sorgfältig recherchierte Dokumentation einzelne Spielszenen wie aus einem billigen Agentenfilm eingebaut hat: Die Szene, in der ein amerikanischer Regierungsbeamter die Mafia beauftragt, Fidel Castro zu vergiften, wirkt mehr als deplatziert.
Aufgedunsen, vom Medikamentenmissbrauch gezeichnet, sitzt die 61-Jährige, deren Züge nichts mehr von ihrer einstigen Schönheit ahnen lassen, schließlich in einem Hotelzimmer in Havanna vor dem Fernseher und beobachtet den 13 Jahre älteren Fidel, der eine Rede hält. „Süßer!“, ruft sie. „Er sieht müde aus“, stellt sie fest. Und später: „Ich liebe ihn immer noch.“ DIEMUT ROETHER
„Lieber Fidel – Maritas Geschichte“. Regie: Wilfried Huismann. Deutschland 2000, 90 Min.
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