Dauerstau per Mausklick?

Online-Shopping ist nicht nur bequem, es steigert auch den Güterverkehr. Die Berliner Infrastruktur ist dieser Entwicklung nicht gewachsen, eine intelligente Verkehrslogistik nötiger denn je. Experten sehen sowohl Chancen als auch Risiken für die Stadt

von TOM NIEMANN

Der Trend, sich Waren per Mausklick nach Hause kommen zu lassen, ist in Verkehrsangelegenheiten selbst bundesweit zum bedeutenden Thema geworden. So hat Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) erst kürzlich mit Spitzenvertretern von Industrie, Verkehrswirtschaft und Gewerkschaften die Auswirkungen von Internet und E-Commerce auf das Verkehrsaufkommen diskutiert. Im Vordergrund stand dabei die Schaffung innovativer Arbeitsplätze im Verkehrssektor.

Klimmt sieht der bevorstehenden Entwicklung optimistisch entgegen: „Hier bietet sich die Gelegenheit, mit Hilfe innovativer Systeme und Verfahren der Logistik und der Telematik die Chancen des elektronischen Handels optimal zu nutzen und mögliche Auswirkungen auf das Verkehrswachstum gering zu halten. Gleichzeitig werden neue qualifizierte Arbeitsplätze entstehen.“

Für die junge Hauptstadt Berlin mit ihrer noch unterentwickelten Infrastruktur im Osten stehen den Chancen für den Arbeitsmarkt vor allem die Gefahren eines kollabierenden Verkehrssystems gegenüber.

Die Gesellschaft für Informatik, Verkehr und Umweltplanung (IVU) hat die Probleme, die sich im Zeitalter von Internet und E-Commerce ergeben, erkannt. „Wir haben uns daran gewöhnt, Güter, Waren und Lebensmittel stets verfügbar zu haben – egal wo sie herkommen und was sie kosten. Da aber gerade Transporte so billig geworden sind, verzichten Hersteller immer häufiger auf teure Lagerhaltung und schicken ihre Waren lieber unverzüglich auf Achse“, beschreibt Manfred Garben von der IVU die Situation. Der Bahn räumt Garben nur wenig Chancen ein: „Die erforderliche Flexibilität im Transportwesen, die beim Einkaufen per Mausklick gefragt ist, lässt sich mit der Bahn kaum erreichen, so dass eine Entlastung der Straßen nur durch die Einführung von Logistik- und Informationssystemen sowie das Etablieren von Frachtbörsen zu erzielen ist“, argumentiert Garben.

Eine große Herausforderung für Berlin, das nach dem Mauerfall in Sachen Infrastruktur erhebliche Lücken aufweist. „Während im Westteil das rasterförmige Straßennetz gute Voraussetzungen für Lkw-Führungskonzepte bietet, sind die Möglichkeiten im ehemaligen Osten doch sehr begrenzt“, beschreibt Garben die Schwierigkeiten in der Hauptstadt. Grünen-Chef Fritz Kuhn befürchtet: „Wenn wir bei der Bahn keine Revolution für mehr Güter auf die Schiene hinkriegen, dann werden wir im Verkehr ersaufen in einem Ausmaß, das wir uns heute nicht vorstellen können.“

Ähnlich äußert sich auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung, Karl Heinz Schmidt: „Das Problem auf der Straße bleibt nicht nur bestehen, es wird sich drastisch verschärfen“, betont er. Auch die Deutsche Post hat inzwischen die Situation erkannt und führte Anfang dieses Jahres den Parcel Intercity (PIC) für den bundesweiten Paketversand auf den Gleisen der Deutschen Bahn ein: „Die Nord-Süd-Verbindung zwischen Hamburg und München ermöglicht uns einen zuverlässigen Versand der Pakete in die Verteilerzentren. Erst die Auslieferung zum Einzelhandel und zum Endverbraucher erfolgt über die Straßen“, sagt Rolf Schulz, Pressesprecher der Deutschen Post. Eine entsprechende Verbindung in Ost-West-Richtung zwischen Ruhrgebiet und Berlin ist für das nächste Jahr geplant.

Gegen die innerstädtische Verkehrsbelastung weiß man jedoch auch hier keinen Rat. „Sobald die Fracht in einem der beiden Paketzentren des Großraums Berlin-Brandenburg eintrifft, ist der Weitertransport über die Straße unvermeidbar,“ erläutert Schulz. Die abschließende Verteilung im Stadtbereich sieht er jedoch relativ gelassen: „Die Paketauslieferung erfolgt vornehmlich in den frühen Morgenstunden, so dass wir nur selten von den Staus während der Hauptverkehrszeiten betroffen sind. Auch die Infrastruktur im Ostteil der Stadt hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert.“ Prognosen für die Zukunft will man bei der Post jedoch noch nicht abgeben. Dass die Verkehrsplanung vor großen Aufgaben steht, glaubt auch Schulz: „Die rasende Entwicklung von Internet und E-Commerce bringt insbesondere im Bereich Telematik und bei der Einführung von Güterverkehrszentren Handlungsbedarf“, erklärt Schulz.

Beim Umweltbundesamt verfolgt man die Verkehrsentwicklung daher mit Sorge: „Die Einführung von Logistik und Informations- sowie Verkehrsleitsystemen trägt zwar zu einer Entlastung des Stadtverkehrs bei, von einer vernünftigen Integration von Verkehrs- und Umweltpolitik sind wir dagegen noch weit entfernt“, so Axel Friedrich vom UBA. Bleibt die Frage, wie schnell die von der Regierung beschlossenen Gesetze und Abgaben für den Lkw-Verkehr umgesetzt werden.