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Bittere Zückerchen

■ „Sweets“ mit Lagenwechseln am Schauspielhaus

In der gut besuchten Premiere von Sweet im Schauspielhaus präsentierte Charlotte Engelkes ihr Soloprogramm zwischen Kabarett, Theater, Tanz und Performance. Ganz entspannt betritt Frau Engelkes die Bühne, und durch ihre Körpergröße und enorme Präsenz scheinen sich die Rollen im Theater zu verdrehen. In aller Ruhe mustert sie ihr Publikum, dass sich – überrascht von ihrer Größe – erst einmal neu in den Klappsesseln des Malersaals positionieren muss.

„I'm the director's wife“ konstatiert Engelkes und beginnt von den Strapazen in ihrem Job als Überraschungstorten-Entertainerin zu berichten: davon, dass man früh aufstehen muss, um sich in der Torte zu verstecken „before the conference starts“; vom Erspüren des Raumes jenseits der Zuckerwände und dem Warten auf den richtigen Moment, um herauszuplatzen. Beim Erzählen wechselt Charlotte Engelkes abrupt die Rollen, das Sujet der Rede sowie die Mittel ihres Textes. Die aus der Erschöpfung nach einer emphatischen Rede resultierende Kurzatmigkeit wird zur rhythmischen Untermalung des folgenden Liedes. Sweet lebt von der Suche nach Identitäten und von den Brüchen, die entstehen, wenn Engelkes erzählt. Die Musik von Mats Lindberg schafft Kontrapunkte, der in der Zusammenarbeit von Marina Steinmo und Charlotte Engelkes entstandene Text formt humoristische Spitzen.

Es geht um den Zucker des Lebens, die Dinge, die dem Menschen Energie geben, die Sehnsucht danach, Süßes zu erfahren. Um das Erinnern und Neuschreiben von Realität und um die Verschwörung der „Zuckermafia“. Und mit zuckersüßem Lächeln illustriert Engelkes sowohl schöne Momente als auch Horror-szenarien menschlichen Zusammenlebens und schafft unterhaltsam absurde Situationen. Durch den flüssigen Rhythmus der perfekt choreographierten Inszenierung bleibt aber auch Raum zur Erholung vom Schlucken bitterer Sweets. Das engagierte Spiel und der trockene Witz, dem die zuvor eröffneten pathetischen Welten weichen, schaffen eine Spannung, die das gesamte Programm lang anhält. Die sichere Koordination von Sprache, Musik, Tanz arbeitet mit minimalistischem Aufwand an Technik und beweist, dass man mit einfachen Mitteln Brüche inszenieren kann. Schluckbeschwerden dürfte allerdings bekommen, wer aufgrund mangelnder englischer Sprachkenntnisse dem Rhythmus der Inszenierung nicht folgen kann. Selbst dann könnte Sweet spannend sein, denn auch über die Sprache von Körper und Musik vermittelt sich der Witz der Inszenierung.

Aljoscha Zinflou

Nächste Vorstellungen: 20., 21., 23. 11., jeweils 20 Uhr, im Maler-saal des Schauspielhauses

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