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Schwalbengeschichten

■ Der schönste „Nonnenhocker“ der Welt: In Walle-Osterfeuerberg gibt es einen Laden nur für Schwalben und andere Ost-Mopeds der Kultmarke Simson

Es gibt keine gesicherten historischen Erkenntnisse darüber, ob Peter Maffay jemals Mofarocker gewesen ist. Oder ein Kleinkraftrad hatte. Auf jeden Fall hat er ein Lied geschrieben, das eine ganze Menge mit der Geschichte von Mikes Moped Shop zu tun hat: Es war im Sommer. Das erste Mal im Leben. Sie wissen schon.

Im Sommer des Jahres 1991 ist der Bremer Mike Harting, inzwischen 31, mit seiner Freundin auf den Flohmarkt gegangen und hat ihr eine Schwalbe gekauft. Hersteller: „VEB Fahrzeug- u. Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann Suhl“, besser bekannt unter der Marke Simson/Suhl. 50 Kubik, ein paar PS, 60 km/h schnell. Das erste zweisitzige Kleinkraftrad aus DDR-Produktion. Viel geschmähter „Nonnenhocker“, der die Wartezeit bis zum eigenen Trabbi überbrücken sollte.

Also, Nele sollte fahren lernen, und da kamen die nach der Wende billig auf den Markt geworfenen Ost-Mopeds gerade recht. Grottenhässlich habe er das Ding gefunden, erinnert sich der gelernte Maschinenbauer heute. Trotzdem: Der erfahrene Schrauber verzog sich in den Keller und machte die Schwalbe wieder fit. Lackierte sie pink. Zog neue Reifen auf. Tat all das, was junge Männer eben für ihre Liebste tun.

Mit Nele ist Harting schon lange nicht mehr liiert. Mit der Schwalbe schon. Die findet er mittlerweile sogar ausgesprochen schön. Ein Jahr nach dem ersten Rendezvous, seine Zivildienstzeit war zu Ende, machte sich der Findorffer als Simson-Spezialist selbstständig. In einer Garage. Heute hat er eine Werkstatt und ein Ladenlokal in einem ehemaligen Edeka-Laden in Walle-Osterfeuerberg und restauriert Simson-Mopeds, verkauft und verschickt Ersatzteile – und macht Schwalben schneller.

Was ist Schönheit, Mike? Harting geht um seinen Verkaufstresen herum – ein schönes Stück aus dem Friseursalon –, überlegt, holt sich eine Zigarette. Das 60er-Jahre-Hinterteil vielleicht, sagt er, oder die markante Lampenmaske. „Sie hat halt was.“ Und: Die Schwalbe sei einfach gut konstruiert. Warum, soll hier nicht näher erläutert werden. Auf jeden Fall ist das rundumverkleidete Moped (korrekt: die KR 51, KR 51/1, KR 51/1) gut mit den ostdeutschen Straßenverhältnissen klargekommen.

Das Telefon klingelt, ein Kunde. „Also, der Krümmer wird federnd am Zylinder gelagert“, erläutert Harting. Kugelflansch, Überwurfmutter, Vibrationsgummi: Dem Kunden am anderen Ende der Leitung verlangt es nach mehr. Sogar von eimem Tuning-Auspuff ist die Rede. „Der ist nicht leise, das ist richtig“, gibt der Händler zu Bedenken, „bringt aber zehn bis fünfzehn Prozent mehr Leistung“. Und das ist doch schon was.

So um die 3.000 Simson-Fahrer sollen im weiteren Bremer Umland unterwegs sein. Wohlgemerkt: Nicht nur auf der 60er-Jahre-Schwalbe, sondern auch auf den anderen Simsons – Spatz, Star, Sperber, Habicht zum Beispiel. Oder den etwas frühreif wirkenden Mokicks der späteren Jahre. Mikes Moped Shop ist für alle da. Und obwohl die Wende mit ihren ostalgischen beziehungsweise „kultigen“ Reflexen ja schon einige Jahre zurückliegt, scheint der Laden noch ganz gut zu laufen. Devise: „Irgendwann ist jedes Fahrzeug mal fättich.“

Schade nur, dass es in Bremen an „Liebhabern“ mangelt, wie Harting meint. Obwohl es doch extra Schwalbe-Fanclubs gibt. Die meis-ten sähen in der Schwalbe und ihren Geschwistern jedoch nur „Nutzobjekte“. Dabei ist die Kleine aus seiner Sicht schon lange ein Klassiker. Vielleicht liegt diese Mißachtung – sofern es sie wirklich gibt – auch daran, dass die Schwalben so wenig kosten: um die tausend Mark für ein technisch einwandfreies Gebrauchtfahrzeug. Und die Ersatzteile, die immer noch in Suhl produziert werden, sind spottbillig. Ein Blinker kostet gerade einmal 11,50 Mark.

Kundschaft. Ein junger Mann kauft einen Kolbenring für seinen Vater, zum Basteln. Über seine Kunden erzählt Harting übrigens gern kleine Geschichten. Über die Ostler zum Beispiel – vorsicht Vorurteil! –, die sich immer noch ein Bein über die vielen Ersatzteile abfreuen. Oder über den Bauern aus dem Blockland, der schon zu DDR-Zeiten Simson-Mopeds über den imperialistischen Schutzwall geholt hat. Zum Schweine- und Kühetreiben. Einem steinalten Veterinär hat Harting mal die dicksten Stollenreifen seines Lebens auf die Felgen gezogen. Und ein 80-jähriger Opa soll sich extra einen neuen Motor bei ihm gekauft haben, damit die Oma weiterhin Sozia bleiben konnte. Was nicht bedeutet, dass Mike Harting lediglich Senioren bedient.

Nur die Mofa-Fahrer, die mag er nicht. „Gut, dass ich mit diesen Leuten nichts zu tun habe!“ Die hätten nur eines im Sinn, bemerkt er ungnädig, nämlich im Anhänger Bierkästen ins Waller Parzellengebiet zu karren. Gegen Mofas an sich hat er ja gar nichts. „Es gibt prollige Typen“, sagt Harting, der irgend- wann einmal auch ein Mofa-Mike war, „aber niemals prollige Fahrzeuge“. hase

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