: Nachricht schlägt Recherche
DIGITALE DEMOKRATIE (5): Der Online-Journalismus sollte eine neue Form der Berichterstattung und Meinungsfreiheit sein. Bisher ist davon nichts zu merken
Online, online an der Wand – wer ist der Beste im Cyberland? Der Axel Springer Verlag beantwortet diese Frage – und verleiht erstmals den hauseigenen Journalistenpreis im Bereich Internet. Märchenhaft klingen die Beweggründe für diese Auszeichnung: „Qualität gibt es längst auch im Netz“; das Internet habe sich „in atemberaubendem Tempo als neues Medium entwickelt“. Dabei lässt sich über die Qualität von journalistischen Internetbemühungen streiten – gerade weil die Attribute so oft dem Formel-1-Wortschatz entlehnt sind.
Gern wird suggeriert, dass mit dem neuen Medium auch eine neue Form der Meinungsfreiheit entstanden sei. Das stimmt, aber umgekehrt: Die digitale Demokratie ist ziemlich befreit von Meinung. Durch die Besessenheit der Netzmedien, sausend zu publizieren, wird nämlich lediglich ein virtueller Informationseinheitsbrei angerührt – journalistische Vielfalt wird den „Netizens“ nicht serviert.
Vor allem die Webseiten der Fernsehanstalten sind sich zum Verwechseln ähnlich – das liegt am fast identischen Nachrichtenangebot, das ausschließlich dem Agenturenpool entspringt. „Schnell, rasant, erster!“ lautet das dreigezackte Leitmotiv des Internet-Journalismus. Also werden Meldungen im Minutentakt auf die Seiten gehievt, der Wissenshunger der Surfer blitzschnell gestillt. Damit ist die Priorität gesetzt: Nachricht schlägt Hindergrundinformation und Recherche. Dass diese Online-Redakteure sogar die Überschriften von dpa übernehmen, spricht nicht gerade für eine kritische Berichterstattung. Stattdessen herrscht der Copy-and-Paste-Journalismus vor, an dem die Ausübenden wenig Freude haben und deshalb für eine hohe Fluktuation in den Online-Redaktionen sorgen.
Es ist daher lediglich eine Frage von Layoutvorlieben, ob der User www.ard.de, www.heute.de oder www.sueddeutsche.de als Bookmark anlegt. Inhaltlich ist es egal – die Webseiten der Zeitungen eingeschlossen. Nachdem sich die meisten Blätter durchgerungen haben, die Printausgabe auch digital zu publizieren, hat sich hier ebenso der Trend durchgesetzt, dieses Angebot von gestern noch schnell mit dem Aktuellstem aus aller Welt zu ergänzen. Zwar versuchen einige mittlerweile ihren Online-Auftritt mit Dossiers und Foren aufzurüschen, doch das Gefälle zwischen Ursprungsmedium und Internetausgabe ist nicht zu übersehen – böse Zungen reden sogar von einem „Abfallprodukt“ im Netz.
Zu dieser Öffentlichkeitsarbeit im Gleichschritt kommt hinzu, dass man bei keinem anderen Medium eine so große „Anhänglichkeit“ beobachten konnte wie beim Internet – euphemistisch sprechen die Betroffenen lieber von „Konvergenz“ und „Synergie“. Tatsache ist jedoch, dass journalistische Online-Angebote fast immer abhängig von einer Funk-, Fernseh- oder Print-Mutter sind, die dafür sorgt, dass das Cyberkind nicht auf Abwege kommt, sondern einen braven Abklatsch des eigenen Programms bietet.
Die Netz-Angebote der Medienanstalten entpuppen sich als programmbegleitende Service-Zentren – bei den Privaten zumeist im bunt-flimmerndem Web-Portal-Design. Kräftig promoted und insertiert wird sie allerdings, die eigene Werbeseite im Netz: „Weitere Informationen finden Sie unter www.name-der-sendung.de“. Auf diesen Homepages ist die Grenze zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit schnell übersprungen. Wer sie gestaltet, sollte lieber kein Redakteur mit Volontariat sein, sondern Erfahrungen aus der Presseabteilung von Großunternehmen mitbringen.
Es scheint, dass sich echter Online-Journalismus nur losgelöst von einem publizierenden Überbau entwickeln kann. Doch gerade diese Versuche werden mit Kritik und Häme quittiert. So geschehen im Fall der frisch ins Netz gegangenen und ausschließlich dort publizierenden Netzeitung. „Große Töne, wenig dahinter“, titelte die Frankfurter Rundschau und betonte, dass die Netzeitung journalistisch nichts Eigenes zu bieten habe. Und tatsächlich prangt unter den Artikeln nicht „von Sabine Teller“, sondern redlicherweise „ediert von Sabine Teller“ oder noch schlichter: „nz/dpa“.
Neben diesen „Agentur-Bearbeitern“ tummeln sich zudem eine ganze Reihe Hobby-Journalisten im Internet. Ein Experimentierfeld, das durchaus lukrativ ist – so bietet etwa eine Frankfurter „Community Redaktion“ 60 Mark für jeden, der eine kurze, mittelschlechte Kinokritik abliefert. Diese Liberalisierung eines Berufszweiges sorgt immerhin für erfrischend bunte, wenn auch sehr beliebige Tupfer im sonst so uniformierten Pressewesen der digitalen Demokratie. Doch gegen die Beschleunigung und Gleichschaltung der Informationen, die von den etablierten Medien betrieben wird, kommen die Laien mit den Laptops nicht an.
Es wäre allerdings ungerecht, diese Phänomene dem Online-Journalismus zum Vorwurf zu machen. Schließlich sind schnelle, nachlässig recherchierte Nachrichtenhäppchen nur ein Spiegel der zunehmenden Rasanz und Flüchtigkeit, die jeder Medientheoretiker unserer Informationsgesellschaft bescheinigt. Eine Online-Studie von ARD und ZDF hat ermittelt, dass aktuelle Nachrichten genau das sind, was die Internetnutzer auf den Medienseiten suchen. Sie wollen gar keine exklusive Seite-Drei-Reportage, die am Bildschirm nur mühsam lesbar wäre. Für die Zufriedenheit der Netzbürger spricht auch, dass 95 Prozent von ihnen der Meinung sind, dass das Internet sich in Zukunft wie Radio, Fernsehen und Zeitung etablieren wird.
Fragt sich bloß, wie? Das vielbeschworene „New Medium“ ist das Internet jedenfalls nicht, denn es bedient sich genau der Informationsträger, die auch schon die klassischen Medien benutzten: Schrift, Ton und Bild. Im Netz kann also gar kein wirklich „neuer“ Journalismus praktiziert werden, sondern die üblichen Darstellungsweisen müssen in eine dem interaktiven Medium entsprechende Form gegossen werden.
Diese Möglichkeiten sind aber noch nicht ausgeschöpft: Immerhin ist die Berichterstattung frei von festen Sendeplätzen und von Redaktionsschlüssen sowie von Beitragslängen und Layoutbeschränkungen. Typografische und visuelle Darstellungsformen sind kombinierbar. Das Internet hätte die Chance, mehr zu bieten als bloß einen oberflächlichen Nachrichten- und Informationsdienst, der vom Surfer nebenbei vernascht wird. Preiswürdig wäre ein solcher Journalismus allemal – wenn er befreit wäre von den Übermedien und sich nicht ausschließlich der News-Hatz verschreiben würde.
Vielleicht wird er ja irgendwann einmal praktiziert. Vielleicht erfindet ja ausgerechnet die FAZ den Online-Journalismus neu; schon lange verunsichert sie die Konkurrenz mit ihrem angekündigten Internet-Auftritt. Für den Axel-Springer-Preis, dessen Bewerbungsfrist am 31. Dezember abläuft, wird die sonst eher reformphobe Zeitung allerdings genau das nicht gewesen sein, was im Netz und in der Informationsgesellschaft verlangt wird: schnell genug.JUTTA HEESS
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