Hirn auf Leinwand

Am Wochenende ging in Berlin die alljährliche Leistungsschau der Hörspielredaktionen zu Ende

von KAI SCHMIDT

Das kollektive Hören findet im Halbdunkel statt. Im Vortragssaal sorgt Lichtdesigner Daniel Kutsch mit immer neuen Farben und Formen für die assoziationsfördernde Ausleuchtung einer vierteiligen Stahlskulptur von Carsten Minkewitz. Doch die Dekoration ist nicht einmal eine Erwähnung im Programmheft wert, denn in dieser Woche dreht sich alles ausschließlich, so Hermann Naber im Eröffnungsvortrag, um „die jüngste Kunstform im technischen Zeitalter“: das Hörspiel.

Im Mittelpunkt der „14. Woche des Hörspiels“ stand denn auch traditionsgemäß das rituelle gemeinschaftliche Abhören der zehn Vorzeigeproduktionen von ARD und Deutschlandradio mit anschließender Podiums- und Publikumsdiskussion. Die Moderation der Abende teilten sich in diesem Jahr eloquent-lebendig Gaby Hartel und kenntnisreich-trocken Thomas Wohlfahrt. Eine umfangreiche Workshop-Reihe zu aktuellen Themen und Tendenzen des Genres und der Analyse von Meisterwerken der Hörspielkunst sowie ein Kinderhörspieltag rundeten ein Festival ab, das am Wochenende nach dem erstmals ausgeschriebenen Independents-Wettbewerb „Plopp!“ nahtlos in eine blau gehaltene Abschlussparty überging. Die Farbe war gut gewählt und inspirierte die fünfköpfige Publikumsjury zur Vergabe des Hörspielpreises „Lautsprecher“ an David Gieselmanns „Blauzeugen“ (DeutschlandRadio Berlin), ein satirisches Porträt von Kurt Schwab, einem Kurt Cobain des Kunstbetriebs, dessen Suizid mit Gewehr auf Leinwand seine Unsterblichkeit begründet. „Die ironische Darstellung der Kunstkritik und des romantischen Mythos vom jungen Künstler, der seine Karriere auf ihrem Höhepunkt ein Ende setzt, erzählt in Worthülsen, gespickt mit Anspielungen und Klischees“, befand die Hörerjury, „war amüsant und entlarvend zugleich.“ Ob diese Einschätzung zutrifft, ist am nächsten Wochenende im Radio zu prüfen (So., 26. 11., 0.05 Uhr, DeutschlandRadio Berlin). Von allen Beiträgen der Hörspielwoche lässt sich das leider nicht behaupten. Die sechs zeitlupenhaft sezierten Alltagsepisoden in Arkadij Bartovs Groteske „Sprechakte“ (RB) wurden, zumindest von der Publikumsjury, gleichermaßen als erfrischend und humorvoll empfunden und mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Ebenfalls höchst unterhaltsam simulierte Roland Schimmelpfennigs Medienfiktion „Krieg der Wellen“ (HR) die semantische Leere von TV-Brennpunktsendungen. Regie-Altmeister Heinz von Cramer kommentierte seine „Ball-Spiele oder im Herzen der Worte“ (SWR/DLR), eine unglaublich dichte Collage aus Text, Geräuschen und Musikzitaten, selbst kokett mit den Worten: „Diese Produktion ist eine Zumutung“, und diese Einschätzung des 90-minütigen Klangangriffs nach Hugo Balls Roman „Tenderenda der Phantast“ wurde von einem Teil des Publikums durchaus bestätigt, für andere war dieses Stück der klare Höhepunkt der Hörspielwoche. Gleich drei relativ hektische „Pop-Hörstücke“ fanden sich im Programm. Erträglich und unterhaltsam war davon nur Tim Staffels akustisches Roadmovie „Stopper“ (WDR). Simone Schneider hingegen ließ in „Sichtbar vom All“ (NDR) eine beliebige Fragmentflut vermeintlicher Jugendbefindlichkeiten vorbeidröhnen. Und Anna Langhoffs „Unsterblich und reich“ (SFB-ORB) beeindruckte zwar mit Lutz Glandiens überzeugender Komposition in Videospiel-Ästhetik, entpuppte sich ansonsten aber als ärgerliches Spiel mit überflüssiger Themendichte und deutete schließlich auch noch Selbstjustiz als Lösungsmöglichkeit familiärer Probleme an. Das vor ausufernder Altmännerweisheit triefende Dialogstück „Enigma“ (MDR) von Eric-Emmanuel Schmitt ließ kein Rätsel ungelöst; noch quälender bemühte sich Marianne Zücklers pathetischer Kindermonolog „Der weiße Vogel“ (SR) ermüdend sentimental um Betroffenheit.

Für frischen Wind bei der „Woche des Hörspiels“ sorgte „Plopp!“, der Wettbewerb für freie Hörspielmacher. In launigem Vortrag berichtete Hörspiel-Jockey Hermann Bohlen von seinem Umgang mit der unerwarteten Flutwelle von knapp 100 Einsendungen, von denen schließlich elf sich der geneigten Öffentlichkeit stellen durften. Einhellig beklagten viele der Hörheimwerker den Mangel an Erfahrungsaustausch und Weiterbildungsmöglichkeiten. Vielleicht sollte sich die Hörspielwoche im nächsten Jahr bei der Themenwahl der Workshops auch an dieser Klientel orientieren. Beeindruckend vielfältig ebenso wie Herkunft und Alter (zwischen 16 und 75) ihrer Erzeuger, reichte das Spektrum der freien Produktionen vom Singspiel über DJ-, Old-School- und O-Ton-Hörspiele bis zum kurzen Hör-Comic.

Die junge „Plopp!“-Preisträgerin Antje Vorwinkel widmete sich in ihrem Beitrag „Bastia ruckzuck krawumm“ der Frage, wie gestrandete Wale am günstigsten zu entsorgen seien, und wurde für dieses O-Ton-Stück mit zwei Profimikrophonen belohnt, was sie „sehr glücklich“ machte. Und ein glücklicher Mensch ist doch schon ein schönes Ergebnis einer anstrengenden und anregenden Woche.