: Entstellt bis zur totalen Unkenntlichkeit
Kriegsbilder von Otto Dix und Max Beckmann in den Barlach-Museen ■ Von Kerstin Wiese
Ein grausam verstümmelter Kriegsversehrter bietet den vorbeieilenden Passanten Streichhölzer zum Kauf an. Ein apokalyptischer Granateneinschlag treibt verwundete Soldaten in wilder Panik auseinander. Sowohl für Otto Dix als auch für Max Beckmann war der Erste Weltkrieg eine einschneidende Erfahrung, die sie in drastischen Bildern schilderten. Beide hatten sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet: Dix, weil ihn „die Sehnsucht nach der großen Gefahr“ gepackt hatte, Beckmann, weil er den kulturellen Neuanfang herbeiwünschte, dem eine Katastrophe vorausgehen müsse.
Während Dix die gesamte Kriegsdauer als Kämpfender an der vordersten Front verbrachte, erlitt Beckmann bereits ein Jahr, nachdem er in den Sanitätsdienst eingetreten war, einen seelischen und körperlichen Zusammenbruch und wurde vom Fronteinsatz freigestellt. Die schockierenden Erlebnisse des Krieges wirkten sich nachhaltig auf das künstlerische Schaffen beider aus.
Das Ernst Barlach Museum Wedel stellt das grafische Werk von Otto Dix in einem breiten Querschnitt vor. 150 Blätter sind zu sehen, die der Künstler in den Jahren 1919 bis 24 und 1948 bis 69 herstellte. Im Zentrum steht die 50-teilige Radierfolge Der Krieg, mit der sich Dix von den traumatischen Erlebnissen an der Front zu befreien suchte. Schonungslos realistisch zeichnet er Verwundete, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Gasmasken verleihen Soldaten totenkopfähnliche Züge, ein Lebender nimmt sein Mahl zusammengekauert neben einem Skelett zu sich, Berge von Leichen türmen sich übereinander. „Los haben wollt' ich's, sonst nichts!“ beschrieb Dix die wichtige therapeutische Bedeutung, die seine Kriegsdarstellungen für ihn hatten.
Doch nicht nur wörtlich wirkte sich die Kriegserfahrung auf die künstlerische Produktion von Dix aus. Auch die Wahl nicht kriegerischer Motive und die drastische Bildsprache zeugen von einer durch den Krieg veränderten Wahrnehmung. Viel stärker als früher nahm Dix nun die hässliche, die „viehmäßige“ Seite des Lebens in den Blick. Abgetakelte Dirnen und lüsterne Freier, Kupplerinnen und Lustmörder, ironische Zirkusszenen und düstere Selbstbildnisse waren seine Bildmotive. Und immer wieder treten entstellte Kriegskrüppel und „Prothesenmenschen“ auf, die das Bild auf den Straßen damals entscheidend bestimmt haben müssen.
Auch im Werk von Max Beckmann beschränkte sich die Wirkung der Kriegserlebnisse nicht auf die Motivwahl, sondern hatte eine veränderte Bildsprache zur Folge. Seinen neuen expressiven Zeichenstil entwickelte Beckmann zuerst im grafischen Oeuvre. Unter dem Titel Krieg zeigt das Ernst Barlach Haus 50 Zeichnungen und Druckgrafiken, die in den Jahren 1913 – 19 entstanden. Operationen im Feldlazarett berichten von den Erfahrungen Beckmanns als Sanitätshelfer. Oft verleiht der Künstler einem der Dargestellten seine eigenen Gesichtszüge und demonstriert so seinen Anteil an der Tragödie des Krieges. Häufig finden sich Anlehnungen an die christliche Ikonographie, etwa an die Kreuzabnahme, die Apokalypse oder den leidenden Christus. Kompromisslose Reportage und metaphorische Überhöhung verbinden sich zu eindrucksvollen Darstellungen.
Im Mittelpunkt der Schau steht der Lithographiezyklus Die Hölle, eine Folge von elf großformatigen Blättern, in denen sich Beckmann mit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen der Jahre 1918/19 auseinander setzte. Darin stellt er beispielsweise die Ermordung Rosa Luxemburgs oder die erbitterten Barrikadenkämpfe dar. Auch für Beckmann war die künstlerische Arbeit ein Mittel, um über die grausamen Kriegserlebnisse hinwegzukommen: „Ich habe gezeichnet, das sichert einen gegen Tod und Gefahr“, schilderte er im Jahr 1914 die heilende Wirkung seiner Kunst.
Max Beckmann: bis zum 7 .Januar 2001, Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50a, Di - So 11 - 17 Uhr, Katalogheft: 32 S., 9,80 DM; Otto Dix: bis zum 28. Januar 2001, Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1, Di - Sa 10 - 12 und 15 - 18 Uhr, So 10 - 18 Uhr, Katalog: 135 S., 29 DM
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