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MODERNES LESEN: NEUE BÜCHER KURZ BESPROCHEN VON ELKE SCHMITTERAlles echt

Max Liebermann: Das erste Skizzenbuch. Transit Verlag, 136 S., geb., 48 DM

Manchmal ist es nur ein Satz (und sicher häufig auch noch eine falsche Überlieferung): aber dafür ist man einem Menschen lebenslänglich dankbar, und der Satz umleuchtet ihn wie ein Heiligenschein.

Bei Max Liebermann war es die Versicherung, er könne gar nicht so viel essen, wie er kotzen wollte – dabei hat er das Schlimmste nicht einmal ahnen müssen. Seine Witwe entzog sich dem Transport, wie es behördlich hieß; sie nahm eine Überdosis Schlaftabletten in der Nacht vor der Deportation nach Theresienstadt am 10. März 1943.

Das erste Skizzenbuch ihres Mannes fand sich nicht in ihrem Nachlass und war lange verschwunden; wie in so vielen Fällen dieser trostlosen Art wird vermutlich unklar bleiben, ob es vorher verkauft, irgendwo deponiert oder von den Nazis „beschlagnahmt“ wurde. Der Berliner Transit Verlag, der im letzten Jahr das Adressbuch von Paul Hindemith als Kleinod zu Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit herausbrachte, machte sich nun ein weiteres Mal verdient um die Schönheit der Welt: er hat das Skizzenbuch, sorgfältig zwischen Vor- und Nachwort gelegt, in einer Qualität gedruckt, die noch das kohlene Gegriesel an den Seitenrändern würdigt und doch nichts von überbelichteter Pedanterie an sich hat. Da traben die Pferde mit Schaum vor dem Mund durch die Blätter, die Elefanten schauen weise aus müden, alten Menschenaugen, und der Laokoon-Kopf ist eben so schmerzverzerrt, wie man es klassischerweise erwarten kann.

Doch über die üblichen Sujets des Zeichenunterrichts hinaus ist schon eben der Liebermann anzutreffen, der später in nüchternster Verwegenheit einen Kohlkopf malt, wo andere die Putte kolorieren, und der in den ersten Beobachtungen sich, vielleicht unbewusst, vorbereitet auf das, was seine Berühmtheit begründen soll: Bilder von arbeitenden Menschen, damals noch skandalös genug. Da grüßt auf allerlei Seiten der Hosenboden!

Alles passend

Jhumpa Lahiri: Melancholie der Ankunft. Aus dem Englischen von Barbara Heller. K. Blessing Verlag, 252 S. geb. 36 DM

Die Planstelle der schönen jungen Inderin wird heuer von Jhumpa Lahiri eingenommen: Ebenso glut- wie mandeläugig, als Tochter bengalischer Eltern in den USA aufgewachsen und englisch schreibend, nun mit dem Booker-Prize für ihre Erzählungen ausgestattet und in New York mit dem ersten Roman beschäftigt ... ist sie das ideale Menschenfutter für die internationale Autorenverwertungsindustrie, die etwa seit Michael Chabon („Die Geheimnisse von Pittisburgh“, so 13 Jahre her, und jetzt Autor des mit Michael Douglas verfilmten Schriftsteller-Romans) ihr Publikum von der Adoration älterer Brillenträger auf attraktive junge Menschen umschult. Das aus diesen Umständen keimende Lektüremisstrauen beantworten ihre Texte allerdings souverän.

Lahiri schreibt über ihresgleichen: über Menschen dazwischen. Ihr Personal trägt unsichtbare Kämpfe aus: mit Erinnerungen „an früher“ (das nicht ein erlebtes „früher“ sein muss), mit unwillkürlichen Loyalitäten mit unpassenden Gewohnheiten, mit dem totalitären Gedächtnis der Sinne, die wissen, wie ein ordentliches Curry schmecken muss, und Kompromisse, wie der Verstand sie vorgibt, boykottieren. Die „Melancholie der Ankunft“ beschreibt Personen, die tatsächlich – meist in der Neuen Welt – ankommen, aber nicht da, wo sie es erwarten, oder anders, als sie es erhofften.

Das ist eine Trivialität, die nur durchs Erzählen eben ihre Trivialität verliert, und das Erzählen, durchaus im konventionellen Sinne, ist Lahiris Stärke: Die Entwicklung von Konstellationen, die subtile Variation von Motiven und die Darstellung von Konflikten, die sich sowohl in der Psyche der Personen selbst – beispielsweise zwischen einem gesellschaftlichen und einem egozentrischen, einem sentimental-beharrenden und einem aufbruchsstarken und rigiden Ich – als auch zwischen ihnen abspielen, beherrscht sie ebenso wie einen spannungsreichen, auf dramatische Effekte hin reduzierten Stil, der eine altmeisterliche Krönung durch klassische letzte Sätze aus der Werkstatt der short-story nicht verachtet.

Ihre besten Geschichten sind wahrhaftig sehr, sehr gut; allerdings ist die Autorin – vielleicht nur: noch – ganz und gar inhaltistisch: wenn die Konstellation, die Überraschung, die psychologische Wahrheit einer Geschichte nicht beeindrucken und haften bleiben, dann ist in der Erinnerung eben auch die ganze Erzählung verschwunden. Was aber bleibt, bleibt.

Alles falsch

Konrad Kujau (so nennt sich der Autor): Die Originalität der Fälschung. Kunsttheoretische Schriften. Paterga Verlag, Düsseldorf und Bonn, broschur., 119. S.

Am Freitag werden wir mit der endgültigen und umfassenden Veröffentlichung der Tagebücher unseres jüngsten Bundeskanzlers a. D. beschenkt, von denen wir, natürlich, nicht wissen können, welche Überarbeitungen sie im Laufe der Zeit erfahren haben. Zumindest deutschen Autobiografien aus diesem Jahrhundert haftet eine Tendenz zum Redigierten an; so sehr, dass Ausnahmen von dieser Regel – oder Ausnahmen, die immerhin so erscheinen – wie Ernst von Salomons „Fragebogen“ jenseits ihres Inhalts schon deshalb anhaltend goutiert werden, weil sie ihre Prätention, Würde und Unmittelbarkeit zu amalgamieren (ein hoffnungsloses Unterfangen) von vorneherein aufgegeben haben.

Da ist es an der Zeit, sich bei Lebkuchen und Glühwein der Lektüre eines Knasttagebuches hinzugeben, von einem der größten Fälscher, die je auf deutschem Boden wirkten: Konrad Kujau, „Die Originalität der Fälschung“. Seine „Kunsttheoretischen Schriften I“ – welche manch anekdotisches Erinnerungswerk enthalten, viel Heiteres und viel gut Böses – beginnen mit einem kurzen, herzhaften Rückblick auf die aufregenden Wochen, in denen bekannt wurde, dass er der Schriftsetzer und Autor der Hitler-Tagebücher war, den folgenden Prozess und die Verurteilung. Er zog es vor, selbst ins Gefängnis zu gehen, das, wie er sagt, von personellen Fälschungen besetzt ist, von Leuten also, die für gutes deutsches Geld die Strafe für einen anderen büßen. Aber er wollte hier nicht fälschen, sondern ganz als er selbst nicht nur der Autor, sondern auch der Täter sein, und in der Zeit, die ihm damit geschenkt war, unabgelenkt von den Geschäften, widmete er sich den grundlegenden Fragen seines Berufes.

Die seit mehreren Generationen mit Andacht weitergeraunte These von der Aura und deren Zerstörung erhält eine bündige Zurückweisung. „Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seit Benjamin vergangen ... und der Einspruch gegen den Verfall der Aura wird immer noch aufgetischt, dass sich die Balken biegen. (...) Schon die Einmaligkeit, in ihrer Naivität fast mitleiderregend, ist eine Schnapsidee. Dass ein Kunstwerk einmalig sei, ist erstens gänzlich unbeweisbar, zweitens in den meisten Fällen definitiv falsch.

Dass es einmalig sein soll, ist aber auch ganz und gar nicht einzusehen. Worin kann es den Betrachter denn auch stören, ob irgendwo in der Welt ein Dublikat herumhängt oder vielleicht gar sieben oder acht gleiche Stücke? Oder hat der Walter Benjamin vielleicht einen echten Vermeer von einem falschen unterscheiden können?“

Dass Kujau hier auf Vermeer zu sprechen kommt, hat seinen eigenen, scharfen Reiz: Der holländische Fälscher Han van Meegeren hatte u. a. Göring zwei tolle selbst gemachte Vermeers verkauft, was erst nach dem Krieg herauskam. Denn auf die Ausfuhr von holländischem Kunstgut standen hohe Strafen, und, damit bedroht, sagte van Meegeren: Gebt mir nur Leinwand und Pinsel, und ich male euch hier in der Untersuchungshaftzelle gleich den nächsten. So geschah es; damit konnte er nachweisen, dass er ein richtiger Fälscher war.

Ein nicht ganz so brisantes, aber ebenso eloquentes Beispiel für die Kunst des Fälschens gab der Deutsche Lothar Malskat, der die Lübecker Marienkirche restaurierte und dort fantastische frühgotische Fresken entdeckte, welche die ganze Welt begeisterten ... Ein schöner, hoher, unterschätzter Beruf.

Kujau verschafft ihm die Würden der Theorie in ganz entspanntem Deutsch: „Die Zeit für eine Bilanz des auratischen Zeitalters des Kunstschaffens ist also überreif. Als einen ehrlichen Abschluss, eine Grabrede erster Klasse schlagen wir folgendes vor: Wer von der Aura des Originals, ob schwärmt oder sich beeindrucken lässt, ist ein emotionaler Devotionaliensammler, der sich einem echten ästhetisch-kommunikativen Prozess verschließt. Wer eine Aura produziert, ist ein Nebelwerfer. Es ist ein autoritärer Gestus, der daraus spricht, wenn nicht pure Geschäftstüchtigkeit. Für einen Abschub in die Welt der Kunstgeschichte ist das Konstrukt längst überfällig.“

Wie sollen wir also die Tagebücher von Dr. Helmut Kohl einschätzen, die noch zum Ablauf dieser Woche auf den Markt geworfen werden? Wie auch bei den Hitler-Tagebüchern soll danach und künftig die deutsche Geschichte umgeschrieben werden (und wer denkt da nicht, ein bisschen eingefallen, nur an die erleuchteten Gesichter der Stern-Manager, sondern auch an die Verfechter der Wehrmachtsausstellung?), noch einmal und mit Gewinn. Kohl, so viel darf man schon vor der Lektüre vermuten, ist sein eigener Kujau, aber noch ohne Theorie.

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