Fröhliches Pfeifen im Wald

Nach dem traurigen 0:0 im Hinspiel des Uefa-Cups zwischen Hertha BSC und Inter Mailandversuchen beide Trainer, Stärke aus der vermeintlichen Schwäche des Kontrahenten zu ziehen

aus Berlin MATTI LIESKE

Ein 0:0 in einem Hinspiel des Uefa-Cups ist ungefähr so wie Stimmenauszählung in Florida. Beide Parteien sind froh, dass sie (noch) nicht verloren haben, beide sind guter Dinge, dass alles schließlich gut enden wird, und sie nutzen die Zeit, um sich neu zu positionieren und die Weichen dafür zu stellen, dass sie, wenn die letzte Urne geleert und der letzte Ball gekickt worden ist, als Sieger die Arena verlassen.

„Warum sollen wir in Mailand denn nicht gewinnen?“, sagte mit großen, erstaunten Augen Jürgen Röber, Trainer von Hertha BSC, nach dem torlosen Unentschieden, das seine Mannschaft am Dienstagabend in einem partiell tristen Spiel gegen Inter Mailand erstritten hatte. Sein Kollege Marco Tardelli trauerte zwar dem verpassten Auswärtstor nach, weil so etwas im Europacup ja „sehr wichtig“ sei, machte aber ansonsten nicht den Eindruck, als sähe er dem Rückspiel mit allzu bangen Erwartungen entgegen.

Beide Coachs wirkten dabei ein wenig wie die Pfeifer im dunklen Wald und bezogen ihren Optimismus weniger aus eigener Stärke als aus der vermeintlichen Schwäche des Kontrahenten. Schließlich waren die Auftritte der Hertha in fremden Stadien bisher keineswegs so überzeugend, dass man einen Sieg bei Inter Mailand in den Bereich der Selbstverständlichkeiten rücken könnte. Auf der anderen Seite hatten die Mailänder in der verpassten Champions-League-Qualifikation gegen Helsingborg und im Uefa-Cup gegen Arnheim nur remis gespielt in San Siro, zudem kann Röber mit Fug und Recht behaupten: „Die haben zu Hause ja sogar gegen Lecce verloren.“ Man stelle sich vor: Lecce!

Die derzeitige Verfassung beider Teams erklärt, warum die Trainer mit dem 0:0 so gut leben konnten. Hertha hatte nach Eroberung der Bundesliga-Tabellenführung in den zwei verlorenen Partien gegen Dortmund und Schalke stolze sechs Tore kassiert, und Jürgen Röber war heilfroh, dass seine im Verdacht fortgeschrittener Löchrigkeit stehende Abwehr endlich mal wieder dicht gehalten hatte. Eine Scheinstabilität allerdings, die vor allem auf die überaus herthafreundliche Spielweise der Mailänder zurückzuführen war. Wo Schalke von der ersten Minute an attackiert hatte, zogen sich die Italiener zurück, taten wenig, nur darauf bedacht, keinen Treffer zu kassieren, und vermieden es sorgfältig, die wacklige Berliner Defensive unter Druck zu setzen. Tardelli hoffte allein auf die Schnelligkeit und Durchsetzungsfähigkeit seiner Stürmer Hakan Sükür und Recoba, später Vieri. Von denen hatte jeder eine Schusschance – Gelegenheiten, die Tardelli später „bedeutender“ als jene der Hertha fand – ansonsten kamen die Vielmillionenstürmer bei ihren seltenen Kontern aber kaum dazu, ihre gefürchtete Stärke im Eins-gegen-eins-Spiel auszuleben. „Da ist kaum was angebrannt“, meinte Röber erleichtert.

Die Gastgeber bemühten sich vor lediglich 39.100 Zuschauern (Manager Dieter Hoeneß: „Ich bin erstaunt“) vor allem in der ersten Halbzeit um gepflegtes Kombinationsspiel, konnten das Mailänder Tor aber nur selten in Gefahr bringen, obwohl die Inter-Abwehr mitnichten souverän wirkte. Die Hertha-Harmlosigkeit war nicht überraschend, fehlten doch mit den verletzten Alves und vor allem Beinlich jene beiden Spieler, die in dieser Saison den Unterschied zwischen einer guten Mannschaft und einem Klasseteam ausgemacht hatten. Im Angriff traten sich wie gehabt Ali Daei und Preetz auf die Füße, während sich Röber nach eigener Auskunft „die Kehle wund geschrien“ hatte, damit mal einer auf den kurzen Pfosten ging. Tat aber keiner, weshalb Flanken, Ecken und Freistöße im Dutzend bei den erfreuten Mailänder Bollwerkmitgliedern landeten. Der Höhepunkt der Fruchtlosigkeit kam, als Daei dem ausnahmsweise „völlig blank“ (Röber) stehenden Kumpanen Preetz den Ball praktisch von der Stirn ins Aus köpfelte.

„Du hast kaum Räume“, erklärte Jürgen Röber den Standfußball der zweiten Halbzeit, „da ist die Abwehr, in die rücken noch die zwei Mittelfeldspieler. und die Außen gehen kaum nach vorn und schieben sich auch noch rein.“ Ein Dilemma, das der Hertha-Coach in zwei Wochen gern den Mailändern bereiten möchte. „Wir sind immer in der Lage, auswärts ein Tor zu erzielen“, ist sich Röber sicher. Nach drei Spielen ohne eigenen Torerfolg eine mutige Aussage, auch wenn in Mailand Beinlich und Alves wieder im Team sein sollten. Realistischer sieht die Angelegenheit wohl Mittelfeldspieler Rene Tretschok: „Jetzt wird es verdammt schwer, noch weiterzukommen.“ Ein Satz, der glatt von Al Gore stammen könnte.

Hertha BSC: Kiraly - Rehmer, van Burik, Schmidt - Deisler (74. Roy), Dardai, Tretschok, Hartmann - Wosz (67. Sverrisson) - Daei, Preetz Inter Mailand: Frey - Ferrari, Blanc, Córdoba - Cirillo (76. Simic), Zanetti, de Biagio (46. Cauet), Farinos, Macellari - Recoba, Sükür (52. Vieri)