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Vorwärts- und zurückwirken

Prinzip Netzwerk: Aus einem Internetprojekt heraus entstand in Sankt Petersburg das russische Kunstmagazin „Aktivist“. Ausgaben für Warschau und Tallinn soll jetzt ein Ableger in Berlin folgen

von SANDRA FRIMMEL

„Wir wollen auf die kulturellen Prozesse dieser Stadt Einfluss nehmen und ihre soziopolitische Maschinerie vorantreiben. Dabei geht es vor allem um eine Zirkulation der Informationen, um eine Globalisierung ihrer Verbreitung.“ Das verkündet ein Mann, dessen Atelier angefüllt ist mit Türen, Wiegen und Kisten aus vergangenen Jahrhunderten. Und tatsächlich haben sich das neue kostenlose Magazin Aktivist und sein Chefredakteur Sergej Bugaew Afrika im traditionsmächtigen Sankt Petersburg ein heroisches Ziel gesetzt.

Bugaew, der seit den 80ern zu den bekanntesten Figuren der russischen Künstlerszene zählt, betätigte sich schon immer gerne interdisziplinär. Er arbeitete mit den Einstürzenden Neubauten zusammen, gründete mit Nowikow die Gruppe „Neue Künstler“, aus der der „Klub der Freunde Majakowskis“ hervorging. Zudem ist er in stellvertretender Position in die Duma eingebunden und gestaltete vergangenes Jahr den russischen Pavillon auf der Biennale in Venedig mit einem Multimediaprogramm. Und nun führt er voller Stolz die durch Werbung finanzierte, bunt glänzende DIN-A4-Monatsschrift vor, deren erste Ausgabe vor einem Jahr in Helsinki erschien und die mittlerweile auch in Tallinn und Warschau herausgegeben wird. Obwohl den Grafikern überwiegend ein appetitliches Layout gelungen ist, das Text und Bild ausgewogen vereint, gilt das Magazin als untergeordnetes Projekt des Internetportals www.aktivist.ru. Über das bisher nur in Russisch vollständig ausgearbeitete Portal gelangt man zu jenen Seiten, die die künstlerisch orientierten Themen des Magazins virtuell ausbauen und den Benutzern die Möglichkeit bieten, sich an den vom Magazin zahlreich initiierten Events zu beteiligen.

Damit geht Aktivist einen in Russland nahezu unbekannten Weg. Bisher werden solche Netzwerke dort nur wenig genutzt. Erst seit kurzem haben Künstler und Institutionen damit begonnen, Präsentationen ihrer Projekte im World Wide Web abzulegen – allerdings mit eindrucksvollen inhaltlichen wie optischen Reizen. „Ein wichtiger Punkt“, so Bugaew, „den wir mit Aufmerksamkeit, aber auch Vorsicht verfolgen, ist die Stimulation und Provokation des kulturellen Lebens auf einer interaktiven Basis. Das Internetprojekt ‚Aktivist‘ stellt somit eine weitere Ebene dar, über die wir an der Entwicklung der Zukunft arbeiten wollen, um den Zugang zu neuen Medien zu erschließen.“

Die erste Ausgabe widmet Julia Strausowa, deren Arbeiten Anfang des Jahres im Berliner Pergamonmuseum ausgestellt waren, einen Artikel. Dazu kommen Präsentationen von Homepages und Arbeiten des amerikanischen Fotografen Spencer Tunick, dessen Akt-Fotoserien nächsten Sommer mit einer Arbeit in Sankt Petersburg fortgesetzt werden sollen. Per Internet können sich Leser anmelden, um schließlich selbst Teil der Fotoaktion zu werden. Auch die angeschlossene „poetitscheskaja promsona“, die „poetische Promzone“, verfolgt solch ein Konzept aus Leserbindung und Veranstaltungsorganisation. Sie versammelt junge und renommierte russische Schriftsteller mit ihren Biografien, Texten und Projekten, weitere Texte können eingesandt, veröffentlicht und schließlich in die Seite aufgenommen werden.

Trotz der Fixierung auf zukünftige Events besteht Bugaew hartnäckig auf Traditionen als Grundlage der zeitgenössischen Kultur – daher wohl die Wiegen und Kisten. So erscheinen friedlich vereint Artikel über die Warhol-Ausstellung in der Eremitage und über die Nutzung neuer Satellitentechniken für das Internet neben solchen über eine Ausstellung christlicher Preziosen oder ein Festival alter Musik: „Ich denke manchmal, viele Probleme, die in unserem Land herrschen, könnten durch ein besseres Verständnis der kulturellen Grundlagen geklärt werden“, verteidigt Bugaew sein Konzept.

Gleichzeitig werden bereits Überlegungen und Verhandlungen verfolgt, eine Berliner Variante des Aktivist herauszugeben, das Erscheinungsdatum hängt noch von der finanziellen Situation ab. Das grundlegende Prinzip der Schwerpunktsetzung auf das vom Magazin unterstützte Internetportal könnte in Berlin sicherlich wirksamer greifen, als es in Sankt Petersburg derzeit möglich ist. Für Aktivist müssten sich die Berliner tatsächlich Zeit zum Lesen nehmen, im Gegensatz zu den schicken Stadtmagazinen, deren Seitenzahl primär mit einem Veranstaltungskalender gefüllt ist. Bugaew jedenfalls glaubt daran, dass die Expansion vorwärts- und zurückwirkt: „Es geht nicht nur darum, die kulturellen und künstlerischen Prozesse aufzugreifen und sie zu beschreiben, sondern darum, sie auch selbst hervorzurufen.“

www.aktivist.ru/tunick; www.aktivist.ru/promzona; www.aktivist.ru/strausova

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