Freiheit gegen Würde

Baby M, das Schaf Dolly und der Posthumanismus: Gibt es einen natürlichen Körper des Menschen und Grenzen des Humanen? Und was hat das mit Frauen zu tun? Die feministischen Debatten zur Reproduktionstechnologie im deutsch-amerikanischen Vergleich

von JUTTA WEBER

Die Frage nach der menschlichen Natur ist der rote Faden, der die Debatten um die Gen- und Reproduktionstechnologien durchzieht. Die Conditio humana ist der Nervenknoten in der strittigen Frage, ob und inwieweit unsere Körper technisch reproduziert werden sollen. Während in den Labors fleißig an den posthumanen Konstruktionen und Chimären gebastelt wird und die Gesetzeslage zunehmend dem Status quo angepasst wird, tobt die ethische Debatte um die Frage, ob und wieweit die Fusion von Mensch und Technik erlaubt ist – oder auch nur Sinn macht.

Während die einen von multifunktionalen posthumanen Körpern träumen, treten KritikerInnen in aller Welt der grenzenlosen Ausbreitung der Biotechnologien und -industrien entgegen. Sie beharren gegen den Zeitgeist des Posthumanismus darauf, dass die Omnipotenzträume der Biotechnologen und der life industry gefährlich für Leib und Leben sind.

Andererseits wird von vielen BefürworterInnen der Biotechnologien gerade die unbegrenzte technologische Entwicklung als Voraussetzung und Grundlage für die radikale Selbstverwirklichung der Menschen gesehen. Die Modellierung, Perfektionierung oder gar Transzendierung des menschlichen Körpers wird als adäquate Umsetzung menschlicher Freiheit verstanden. Die technologische Entwicklung gilt den PosthumanistInnen gerade als Grundlage für die Befreiung von unseren „natürlichen“, ach so imperfekten und anfälligen Körpern. Die Technik soll unserer Labilität, der Krankheit und dem Tod ein Ende bereiten.

Inzwischen liegt die Geburt des ersten Retortenbabys schon gut zwanzig Jahre zurück. Das damals berühmt-berüchtigte Baby M. ist eine ausgewachsene junge Frau geworden und die In-Vitro-Fertilization ein mehr oder weniger selbstverständliches Verfahren. Man fragt sich, wie wir wohl in zwanzig oder auch nur zehn Jahren über das Schaf Dolly oder die Menschmaus-Chimäre sprechen werden, die im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion stehen.

Die feministischen Debatten um die Reproduktionstechnologien in Deutschland und USA machen die konkreten Auswirkungen der neuen Technologien auf die Frauen zum Thema – eine Fragestellung, die nicht unbedingt selbstverständlich ist im Main- beziehungsweise „Malestream“ der Ethikdebatte. Unter der feministischen Perspektive rückt in den Blick, dass es eben vor allem Frauen sind, die die Versuchskaninchen für das Reproduktionstechbusiness sind, aber äußerst selten dessen Protagonistinnen.

Dennoch werden Nutzen und Nachteil der Technologien diesseits und jenseits des Atlantiks von den Feministinnen sehr unterschiedlich eingeschätzt. Entsprechend der jeweiligen kulturellen Traditionen hoffen die US-amerikanischen Feministinnen eher auf das befreiende Potenzial der Technik, während im deutschen Feminismus eher eine kulturpessimistische und technikskeptische Einschätzung vorherrscht.

Die US-amerikanische Theoretikerin Shulamit Firestone etwa träumte in den Siebzigerjahren noch von der Abschaffung der natürlichen Reproduktion, die die Gleichberechtigung der Geschlechter ermöglichen sollte. Doch schon wenig später kritisierten viele Ökofeministinnen (Gene Korea, Maria Mies) sowohl in Deutschland als auch den USA die Technik generell als männlich und herrschaftsstabilisierend.

Angesichts dieser radikal negierenden Haltung vieler Feministinnen rief die US-Amerikanerin Donna Haraway Anfang der Achtzigerjahre in ihrem berühmten „Cyborg-Manifest“ zur lustvollen Auseinandersetzung mit der Technowissenschaft auf. Unbeliebt machte sie sich zu dieser Zeit damit, Technik nicht allein als tödlich und männlich zu interpretieren, sondern dieser durchaus ein Potenzial zur Herstellung „lebbarerer Welten“ zuzusprechen – wenn die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen dafür erkämpft würden. In der allmählichen Auflösung traditioneller hierarchischer Dualismen durch die neuen Technologien, die sie als Biologin und Wissenschaftshistorikerin teilweise minutiös verfolgt hat, sieht sie jedenfalls Anlass zur Hoffnung: Wenn sich die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, Körper und Geist oder auch Tier und Mensch verwischen, dann versinke womöglich auch das alte leidige Kategorienpaar männlich/weiblich im Säurebad des Posthumanismus.

Ganz anders beurteilt die deutsche Historikerin Barbara Duden die aktuellen Entwicklungen: Trotz der extremen historischen Variationen im Körperverständnis interpretiert sie die anwachsende Dominanz der Medizintechnologien – und hier sind nicht nur die Reproduktionstechnologien, sondern auch Visualisierungstechnologien wie Ultraschall gemeint – als zunehmende Kolonialisierung und Entfremdung der Körper von Frauen.

Auf dem weiten und schwer umkämpften Schlachtfeld Ethik besticht die feministische Debatte durch ihre weitaus differenziertere Stellungnahme zu den Reproduktionstechnologien – wohl nicht zuletzt weil frau sich hier in einem ambivalenten und widersprüchlichen Feld wiederfindet: Auf den ersten Blick klingen feministische Argumente gegen Experimente an Embryonen oder Pränataldiagnostik („Baby-TÜV“) nämlich nicht viel anders als die frauenfeindlichen Parolen konservativer Lebensschützer und katholischer Würdenträger.

Wie verteilen sich also die Positionen bezüglich Menschenwürde und Freiheit, bezüglich Unversehrtheit der Körper und Autonomie angesichts der neuesten technologischen Entwicklungen? Argumentiert frau nun zugunsten der unveräußerlichen Wesenheit des Menschen oder gar des Embryos in theologischer Manier oder plädiert sie für unbegrenzte Selbstverwirklichung – und gibt damit den weiblichen Körper als Experimentierfeld frei? Oder sind diese Alternativen schon längst keine Optionen mehr in einer Zeit, in der gängige Vorstellungen von Natürlichkeit und Künstlichkeit, von Leben und Tod unterminiert sind von Phänomenen wie postmortaler Fertilisation und Schwangerschaften hirntoter Mütter?

Anders als der „Malestream“ bleibt die feministische Debatte der Reproduktionstechnologien nicht in einem simplen Pro oder Contra stecken. Die Frage nach Autonomie und Menschenwürde wird selten losgelöst vom politischen und gesellschaftlichen Kontext diskutiert. Auch die Kategorien selbst werden radikal hinterfragt: Schon in den Achtzigerjahren hatte die feministische Debatte darauf aufmerksam gemacht, dass die von der Aufklärung aufgebrachte und vom Liberalismus gehätschelte Idee der Autonomie ein reichlich fragwürdiges Konzept ist, welches Individuen allein als Erwachsene in den Blick nimmt und sie als sozial und ökonomisch Unabhängige stilisiert – ein Verfahren, das nur durch die Ausblendung sozialer und (traditioneller) reproduktiver Arbeit möglich wird und somit geschlechtsspezifische und hierarchische Arbeitsteilung geschickt festschreibt.

Gleichzeitig fragte man sich, wie eine eindeutige und damit auch abstrakte Entscheidung zugunsten des Konzepts Menschenwürde oder Autonomie möglich sein soll, wenn sich bei genauerem Hinsehen doch zeigt, wie sehr diese Debatte um die ethischen und moralischen Leitlinien dieser Welt von ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und technowissenschaftlichen Interessen gezeichnet ist.

Keine Frage: Es geht um die Menschenwürde – ob dies nun dem europäischen Kulturpessimismus geschuldet ist oder dem politischen Impetus, der übermächtigen angloamerikanischen Bioethik entgegenzusteuern. In einer sisyphosartigen Anstrengung gilt es, die aktuellen Debatten auch für Laien nachvollziehbar zu machen, immer wieder einen öffentlichen Diskurs anzuregen und alternative Visionen zu erproben – das einzige Gegengift gegen die flexiblen und profitschwangeren Definitionen von Leben, Tod und Würde in den Diskursen von Technowissenschaft, Militär und Industrie.

JUTTA WEBER, Philosophin und Wissenschaftsforscherin, lebt in Bremen. Sie beendet gerade ihre Dissertation zum Naturbegriff in postmoderner Theorie und Technowissenschaft