: Hans Mommsen, liberaler Historiker
Der heute Siebzigjährige hat sich als Professor der Geschichte ins Politische eingemischt, als das in der gediegenen Zunft noch als unfein galt. Die stockkonservativen unter den Historikern sahen im Eintreten für Willy Brandts Ostpolitik 1972 eine Art Verrat, denn in diesen Kreisen war Königsberg noch nicht verloren und Polen ein bloßes Provisorium.
Er trat den Attacken des Ernst-Nolte-Lobredners Horst Möller gegen die „Wehrmachtsausstellung“ entgegen und rezensierte Noltes Bücher als das, was sie sind: Sammlungen nationaler Ressentiments.
Mommsen entstammt einer Historikerdynastie. Der Urgroßvater war der berühmte Althistoriker und Nobelpreisträger (für Literatur!) Theodor Mommsen. Dessen Enkel Wilhelm wurde Historiker in Marburg, wo 1930 seine beiden Söhne – die Zwillinge Hans und Wolfgang J. – zur Welt kamen. 1945 konnte die Historikertradition nicht ungebrochen weitergeführt werden. Der Vater, nach Auskunft von Hans Mommsen 1941 in die NSDAP gedrängt, verlor als einer der wenigen Professoren seinen Lehrstuhl in Marburg.
Hans Mommsen studierte zunächst in Marburg und promovierte 1959 in Tübingen bei Hans Rothfels mit einer Arbeit über „Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburger Vielvölkerstaat 1867 – 1907“. Danach wurde er Assistent in Heidelberg und habilitierte sich 1967 mit dem Buch Beamtentum im Dritten Reich. Von 1968 bis zur Emeritierung 1996 hatte Hans Mommsen einen Lehrstuhl für Zeitgeschichte inne und gründete das Institut zur Geschichte der Arbeiterbewegung, dessen Direktor er von 1976 bis 1983 war.
Als Historiker hat er sich mit Büchern und Aufsätzen über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus internationales Ansehen erworben („Die verspielte Freiheit“ 1989, „Widerstand und politische Kultur in Deutschland und Österreich“ 1994).
Wenn nicht als Erster, so doch als Konsequentester lenkte Hans Mommsen seinen Blick weg vom Führer Hitler auf die vielen Führer in den Reihen der deutschen Eliten in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär.
Für Mommsen war es nicht primär Hitler, der die Deutschen in die Katastrophe führte, sondern die Eigendynamiken der verschiedenen Teile des NS-Systems radikalisierten sich von der rassistischen Säuberung im Innern über den Vernichtungskrieg im Osten bis zum Völkermord.
In der Evangelischen Akademie Tutzing findet an diesem Wochenende zu Ehren Mommsens, zwei Wochen nach seinem 70. Geburtstag, ein Seminar statt. RUDOLF WALTHER
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