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Palästinas Jugend will den Krieg

PLO-Chef Jassir Arafat hat die Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten längst nicht mehr unter Kontrolle. Das Sagen bei den bewaffneten Jugendlichen hat eine neue Generation, die sowohl Israel wie auch die eigene Führung ablehnt

aus Jerusalem ANNE PONGER

Acht Wochen dauern nun die blutigen Zusammenstöße zwischen Palästinensern und Israelis an. Immer mehr verstärkt sich der Eindruck, als sei diese „El-Aksa-Intifada“ eine Fortsetzung der ersten in waffentechnisch verbesserter Form. 1987 bis 1993 warfen palästinensische Jugendliche Steine und allenfalls Molotovcocktails gegen israelische Soldaten. Heute sind 40.000 palästinensische Polizisten mit Schusswaffen ausgerüstet, und manche haben sich den Widerständlern angeschlossen. Diverse Organisationen und Milizen haben illegale Gewehre, Panzerabwehrraketen und Munition gekauft, geschmuggelt und gestohlen.

Im Oktober hatte Palästinenserpräsident Jassir Arafat unter dem Druck der Straße Angehörige der islamistischen Organisationen Hamas und Islamischer Jihad aus den Gefängnissen entlassen müssen. Sie alle lassen sich von keinem mehr etwas verbieten. Sie feuern auf Soldaten, Siedler und Fahrzeuge und legen Bomben, wann es ihnen passt. Die Wut über die demütigende Macht der Israelis und ihre Gewalt wächst mit jedem Verwundeten, bei jedem Begräbnis, nach jedem Raketenbeschuss.

Arafat hat erkennen müssen, dass er sich ein entschlossenes Durchgreifen dagegen nicht leisten kann. Am Freitag letzter Woche hatte er deutliche Instruktionen erlassen, Angriffe auf zivile israelische Ziele zu unterlassen. Drei Tage später folgte der Bombenanschlag auf einen Schulbus mit Siedlerkindern im Gaza-Streifen. Das führte nicht nur zu den bisher massivsten israelischen Militäroperationen, sondern markierte auch einen Wendepunkt in der israelischen Einschätzung, wie weit Arafat die Lage noch kontrolliert. Vor dem israelischen Raketenbeschuss Gazas will der militärische Geheimdienst eine direkte Koordinationsspur der Bus-Attentäter zu Rashid Abu-Shabak gefunden haben, dem Stellvertreter des Fatah-Geheimdienstchefs Mohammed Dahlan. Dahlans Sicherheitsapparat unterhält enge Kontakte zur Fatah-Jugend „Tansim“. Sein Sicherheitsbüro untersteht Arafat direkt und galt immer als absolut loyal.

Die palästinensische Rebellion richtet sich offensichtlich nicht nur gegen die Besatzer, sondern auch gegen den Palästinenserpräsidenten und seine Verwaltung. Die korrupte, inkompetente Führerschaft Arafats und seiner „Abus“ – Abu Masen, Abu Ala und all jene Weggenossen, die im Zuge der Osloer Abkommen seit 1993 aus Tunis und anderen Teilen der arabischen Diapora nach Ramallah und Gaza strömten – war schon vor den Unruhen verhasst und gefürchtet. „In den autonomen Gebieten werden Menschenrechte auf skandalöse Weise verletzt und das Recht auf freie Meinungsäußerung grob missachtet“, hatte der palästinensische Menschenrechtler Bassam Eid im September geklagt. „Ich fürchte, Palästina unter Arafat würde nicht besser als die meisten afrikanischen Staaten nach Abzug der Kolonialmächte.“ Für die palästinensische Bevölkerung brachte der Friedensprozess nur Hoffnungslosigkeit angesichts sich ausbreitender Siedlungen und israelischer Kompromisslosigkeit.

Israelische und palästinensische Beobachter sind sich einig: der 71-jährige, von Parkinson befallene Arafat gilt zunehmend als passé. Es gibt neue Helden, allen voran Marwan Barghouti, Führer der Tansim. Nicht wenige meinen, dass Barghouti, nach außen hin weiterhin Arafat ergeben, dessen Nachfolge anstrebt. Barghoutis Kollegen von der „Vereinten Kommandozentrale des Widerstands“, darunter Oberschul- und Studentenführer, verlautbarten, dass die vom Oslo-Prozess unterbrochene Intifada jetzt weitergehe. „Zu gegebener Zeit dürften die Diadochenkämpfe ausbrechen“, vermutet ein Ostjerusalemer Journalist.

Für Israel wird sich bald die Frage stellen, die Palästinenser bereits aufwerfen: Wenn man einen langen, blutigen Guerillakrieg vermeiden will, sollte Israel dann nicht erwägen, mit den Tansim, den jungen, säkularen Rebellen und potenziellen Arafat-Nachfolgern, ins Gespräch zu kommen? Doch man wird den Realitäten ins Auge sehen müssen: Die neuen Intifada-Parolen begnügen sich nicht mit Rufen nach Unabhängigkeit und Friedensgesprächen, sie fordern das absolute Ende der Besatzung einschließlich Ostjerusalems und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge – ein Szenario, mit dem jede israelische Regierung überfordert wäre.

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