: Notizzettel und andere Dreammachines
Im Tank (3)
Es ist ja so, dass man als freier Journalist ständig Schwierigkeiten hat mit der eigenen Lebensplanung. Oft weiß man am Morgen nicht, was man den Tag über tun soll, und ist ganz verzweifelt. Da warten so viele Dinge, über die man noch schreiben möchte, über die zu schreiben man sich eigentlich sogar verpflichtet fühlt – gerade als Mitarbeiter einer Zeitung, in deren Redaktion „bei aller propagierten Liebe zum Chaos ein erstaunlicher Purismus“ herrscht, wie die Zeit einmal herausfand: In der taz würden Journalisten arbeiten, „denen es in ihrer Arbeit um Journalismus geht“.
Auf dem Schreibtisch warten die Dinge: „Tausend Tüten“, ein sympathisches, von Deleuze’/Guattaris „Mille Plateaux“ inspiriertes Büchlein über das „postmoderne Kiffen“ zum Beispiel, das vor einigen Monaten in der „Edition Klarsicht“ erschien. Oder sechs komische CDs mit jazzigen Sex-, Drogen- und Antihitlersongs aus den Zwanziger-, Dreißiger- und Vierzigerjahren, die, eingeleitet von dem Alternativverleger Werner Pieper, unter dem Titel „Flashbacks“ bei Trikont erschienen sind. Und daneben verstreute Notizbücher mit Notizen über dies und das, zum Beispiel über einen sommerlichen Besuch bei Werner Pieper im Odenwald, der mir gerade eine Art Rundbrief für Freunde seines Verlags „Grüner Zweig“ geschickt hatte.
Darin hatte er die ihn betreffenden Ereignisse der letzten Monate aufgeschrieben, und es fanden sich auch zwei leicht enttäuschte Sätze über meinen Besuch: „Wir labern viel, sammeln Brombeeren satt, see the sun going down in the Rheinebene & erzeugen einiges an Rauch. Aber davon findet sich auch nix in der taz wieder.“ Solche Sätze erinnern einen wieder daran, was für ein unzuverlässiger Mensch man doch ist, und man schämt sich ein bisschen.
Pieper, der Landmensch, der „aus Schüchternheit“ Anfang der Siebzigerjahre als Dealer arbeitete, seinen größten Erfolg mit dem „Scheißbuch“ hatte und zehn Minuten des Ruhms erlebte, nachdem er mal bei Jürgen von der Lippe in der Show war, erinnerte mich ein bisschen an Herbert Achternbusch oder mehr noch an einen netten Kollegen vom Kicker, der bei den Berliner Hallenturnieren immer einen recht passablen Libero gespielt hatte. Pieper ist immer bunt; ganz konsequent bunt, selbst seine Socken sind bunt. Dies hat insofern mit dem Kreuzberger Isotank und der Galerie Transition zu tun, als dass Pieper zum einen mit Micky Remann befreundet ist und zusammenarbeitet – Micky Remann hat im thüringischen Bad Sulza sehr erfolgreich ein Erlebnisbad inszeniert, das so ähnlich funktioniert wie der Isolationstank. Zum anderen hatte mir der Verleger ein Buch mitgegeben, in dem es um Mindmachines ging: Arvid Leighs „Nur in deinem Kopf“.
Mindmachines arbeiten umgekehrt wie der Isolationstank. Während der Isotank durch Reizentzug wirkt, erzeugen Mindmachines ihre meditativen Effekte mit ausgeklügelt rhythmisierten Licht- oder Tonreizen. Smudo von den „Fantastischen 4“ zum Beispiel fühlte sich nach seinem Aufenthalt im Isolationstank, als hätte er zwei Wochen durchgeschlafen.
Ich wollte erst über anderes schreiben, um dann zu einer selbst gebauten Kreuzberger „Dreammachine“ zu kommen. Weil es so viele Dinge gibt, die alle gleichberechtigt berücksichtigt werden wollen, schafft man es nicht, mit einer Sache anzufangen oder eine andere zu Ende zu führen, und schweift gerne ab. Zum Beispiel, um einen Wohnungssuchzettel zu zitieren, der am U-Bahnhof Kottbuser Tor hängt: „Ich, Tobi (29), schwul, KünstlerIn (Schrottskulpturen, Performance), Physiotherapeut, suche kreative, engagierte, linke WG in X-Berg, P’berg“.
So werden einem die Regelmäßigkeiten, die das Leben so ordnen, immer wichtiger: Seit Jahren spiele ich zum Beispiel jeden Samstagnachmittag mit Freunden in einer Kreuzberger Fabriketage Tischtennis. Wenn man da richtig reinkommt, kann das auch sehr meditativ sein, und als ich von meinen Tankrecherchen berichtete, erzählte mir ein Hausbesetzertischtenniskollege von seiner Dreammachine, die ich mir dann auch anguckte.
Die Dreammachine wurde im Umfeld des amerikanischen Schriftstellers W. S. Burroughs erfunden und ist so eine Art Meditationsmaschine: eine vielleicht 1,50 Meter hohe Röhre aus Pappe mit ausgeschnittenen Mustern, deren Form ein Mathematiker berechnet hatte und die sich auf einem Plattenspieler mit 75 U/min dreht. Eine Glühbirne ist in der Röhre, man schaut dann darauf, und in der Mitte der Pappröhre entstehen Geistergeometrien.
Es ist wahrscheinlich eine Frage der Mentalität, ob man die gleichförmigen Reize der Mindmachines oder den totalen Reizentzug besser findet. Genau dazwischen liegen die weichen Schatten, die in der Nacht über die Zimmerecke ziehen, wenn Autos unten auf der Straße vorbeifahren und man selber zwar noch nicht schlafen kann, aber doch andererseits auch wieder nicht so wach ist, dass es unangenehm wäre.
DETLEF KUHLBRODT
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