ich & kurt scheel von KATHRIN PASSIG:
Neulich geriet ich in einen Abend, zu dem unter anderem der nette Herr Scheel geladen war. Herr Scheel hat ein Buch mit dem Titel „Ich & John Wayne“ geschrieben, das von seinen Lieblingsfilmen handelt und auch dann unterhaltsam ist, wenn man keinen dieser Filme kennt. Ich kann das aus eigener Nichtanschauung bestätigen. Der Abend verlief sehr angenehm, und es wurden zahlreiche allerletzte Getränke geordert. Nach dem Absingen fröhlicher Lieder aber verlegten sich meine Tischgenossen auf kulturpessimistische Reden dahingehend, dass es ihnen nur deshalb von Minute zu Minute besser ginge, weil alles andere immer schlechter werde. Ich protestierte schwach, weil ich Kulturkritik nicht mal als Zuschauersport schätze, und begab mich damit ins Schussfeld.
Gerade Frauen, sagte Herr Scheel anklagend zu mir, gerade Frauen um die dreißig hätten oft überhaupt keine Ahnung mehr von den Filmklassikern, und ich würde gern behaupten, dass er mich dabei stechend fixierte. Tatsächlich fiel die Empfindung eher juckend aus, und mit dem Fixieren war es angesichts der vorgerückten Stunde auch nicht mehr so weit her. Trotzdem bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil für mich Western mit Clint Eastwood anfangen und Schwarzweißfilme gar keine Filme sind.
Als Herr Scheel in meinem Alter war, musste man vermutlich noch kein schlechtes Gewissen wegen ungesehener Filmklassiker haben. Wahrscheinlich reichte es, sich angemessen dafür zu schämen, dass man immer noch nicht „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gelesen hatte, und den Rest des Tages konnte man unbeschwert im Kino verlenzen. Uns Frauen um die dreißig dagegen nörgelt das Arielgewissen nicht nur wegen des ungelesenen Proust und der verlorenen Studienzeit einen vor, sondern jetzt auch noch wegen spaghettiloser Western mit Hauptdarstellern, die wie Papi aussehen. Woman’s work is never done. In zwanzig Jahren werde ich, das nahm ich mir vor, den jungen Männern keinen Vorwurf daraus machen, dass sie nicht wissen, wo Monkey Island liegt, und keine Ahnung von rivenesischer Kultur haben. Falls es in zwanzig Jahren noch junge Männer an meinem Tisch gibt, denen ich Vorwürfe machen könnte, wenn ich wollte.
Ich werde es mit Fassung tragen, wenn sich herausstellt, dass sie alle ihre Seminare in Vergleichender Pokémonwissenschaft geschwänzt haben; ein gewisses Maß an Ahnungslosigkeit kann ja im jungen Menschen durchaus niedlich sein. So sieht man das mit fünfzig, habe ich mir sagen lassen, und ich hoffe jedenfalls, dass meine angehenden Prüfer an der Uni dieser Meinung sind. Ich glaube, es lag ein anerkennender Unterton in der Stimme der Dame vom Prüfungsamt, als sie am Telefon ausrief: „Ach, Frau Passig, Sie wissen aber wirklich wenig!“ Womit sie völlig Recht hatte – ich weiß zum Beispiel nicht mal, wie John Wayne aussieht, aber das verschwieg ich Herrn Scheel taktvoll. Eines Tages werde ich es in einer Talkshow ausplaudern: „Kathrin, 30: weiß nicht mal, wie John Wayne aussieht“. Hoffentlich sieht der nette Herr Scheel dann gerade nicht fern.
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