: Kein lupenreiner Weltschmerz
■ Gestern im Sotiris, heute in der Fabrik: „Rembetiko Virtuoso“
In der Altonaer Szenaria ist die Taverna Sotiris schon seit den 80ern ein Kultbegriff. Dort trafen sich diejenigen, die dem kommerziellen Zorbas-Wahn nicht folgen wollten, aber auch die Griechen der linken alternativen Szene. Derzeitiger Besitzer der Kneipe ist Adam Bousdoukos, der in Fatih Akins Kurz und schmerzlos eine der Hauptrollen spielte. Und sie wurde ein Treffpunkt unter anderem der Grecomigranten der x-ten Generation, die sich nicht durch das „Kulturelle Erbe“ der Vätercommunity definieren, sondern durch ihre Kanak-Lebensentwürfe in Hamburg – der perfekte Nährboden für Rembetiko-Inszenierungen.
Rembetiko, was soviel wie „aufsässig“, „rebellisch“ heißt, war die Lebensphilosophie der Rembetes, die durch ihre unangepasste Lebensform in den Vorstadtbaracken Athens auffielen. Die ersten Lieder erschienen Anfang der 20er Jahre, in einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs, großer Arbeitslosigkeit und der Übersiedlung von 2 Millionen Flüchtlingen aus Kleinasien. In ihren Gettobruchbuden komponierten die Rembetes Lieder mit einfachen Texten ohne politischen Akzent, die aber ihrem Weltschmerz Ausdruck verliehen. Mit Zeibek-Rhythmen im 9/8 Takt vertonten sie ihre Deklassierung.
Ähnlich wie dem Blues gelang es dem Rembetiko erst spät, aus dem Undergrounddasein heraus salonfähig zu werden. „Man hat ihnen Krawatten umgebunden“, sagte der Rembetikopionier und Bouzouki-Virtuose Vassilis Tsitsanis, als der neoromantische Komponist Manos Chatzidakis 1945 seine Lieder neu arrangierte. Ein erneutes Comeback feierte der Musikstil Mitte der 80er mit dem Film Rembetiko, der für die Diaspora-Grecos eine neue Projektionsfläche ihrer Lebensverhältnisse bot. Im Sotiris wird nicht selten Breakdance mit dem ebenfalls stark am Boden orientierte Tanz Zeibekiko vermischt.
Heute Abend ist in der Fabrik die Gruppe Rembetiko Virtuoso zu Gast, die regelmäßig bei Sotiris – hundert Meter von der Fabrik entfernt – auftritt. „Wir spielen heutigen Rembetiko“, beschreiben die Bandmitglieder die Anpassung ihrer Stücke an die Gegenwart. Ein türkisches Lied aus dem Soundtrack von Kurz und Schmerzlos streichelt sich über die Saiten des Bouzoukis. Ohne viele Worte ist in der Taverne eine sakrale Atmosphäre entstanden, Minuten vorher tobten sich alle am Tsifteteli (Bauchtanz) aus. Tymborychen (Grabräuber) des Rembetiko gab es in allen Variationen. Rembetiko verschwand aber, als wir es aneigneten, sagte Chatzidakis 1978. Es verschwand so wie die Wandbemalungen in Fellinis Katakomben, als sie vom Wind berührt wurden.
Maria Fotiou/Stella Tsianos
heute, 21 Uhr, Fabrik
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