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Schildkröte in Steinsalz

Mystische Überwältigungsstrategie: Fahrzeughersteller werben jetzt auch in Hamburg gehäuft mit Kunstkompetenz  ■ Von Hajo Schiff

Jede prominente Liaison von Kunst und Industrie wird besonders kritisch beäugt – auch wenn solche Beziehungen längst normal sind. Zur Zeit sind es auf der Hamburger Kunstmeile die Autofirmen, die Kunst stattfinden lassen, sei es bei BMWs Ausstellung Autowerke in den Deichtorhallen oder bei der nur kurzfristigen ArtAvantime von Renault im Kunstverein. Dort werden acht meist große Arbeiten des unbestritten epochemachenden koreanischen Videokünstlers Nam June Paik gezeigt. Die flimmernden Objekte, entstanden zwischen 1972 und 1993, stammen aus dem Besitz des weltweit einzigen Privatsammlers von Medienkunst, Thomas Wegner und wurden vom ihm für eine Präsentation eines neuen Automodells aufwendig inszeniert.

Wegner hatte schon als Initiator des Medienkunstfestivals Mediale vor sieben Jahren versucht, Indus-trie und Kunst zusammenzubringen – und wurde so stark kritisiert, dass es nie zu einer Fortsetzung der als Biennale geplanten Veranstaltung kam. Bei der jetzigen, in Köln, München, Hamburg und Berlin gezeigten Präsentation der ArtAvantime übertrumpft Wegner die ohnehin schon raumgreifenden Kunstwerke durch seine Inszenierung: Nicht genug, dass Nam June Paiks einst für eine Präsentation eines Elektronik-Konzerns entworfene Schildkröte allein schon aus 154 Monitoren besteht, Wegner übertrumpft Paik, indem er dessen Werke in über dreißig Tonnen Steinsalz einbettet, den Raum ergrünen lässt und die Decke als Himmel mit zwanzig sich an Seilzügen bewegenden Großmonitoren besetzt. Das Ganze wird zudem noch zugeschwappt mit einen neobarocken Dolby-4-Kanal-Surround-Sound.

„Wenn zu perfekt, lieber Gott böse“, hat Paik einmal gesagt. Bei dieser Superinszenierung sind vor allem die Kunstkritiker böse, dem prominenten Publikum der Eröffnung schien's aber zu gefallen. Art Avantime ist keine Veranstaltung des Kunstvereins, der hat seine Räume nur vermietet. Doch ironischerweise hat er bei keiner Ausstellungseröffnung dieses Jahres so viel Publikum gehabt. Inszenierungen mit richtig viel Geld sind eben attraktiv. Das brachte auch Wulf Herzogenrath, Eröffnungsredner, Paik-Spezialist und Direktor der Bremer Kunsthalle ins Grübeln: Vom Etat der vier Ausstellungsstationen könnte die Bremer Kunsthalle sieben Sonderausstellungen samt Katalog ausrichten. Dazu kommt, dass sich das Publikum an einen anderen Blick auf die Kunst gewöhnt, der es notwendig zu machen scheint, alles immer mehr zu inszenieren.

Das geht am aufklärerischen Anspruch der Kunst vorbei und leistet dem Trend Vorschub, alles zum Event zu machen. Die Aufklärung ist ein Kind des Barock. Aber die höfisch-theatralische Seite jener Zeit interessiert zunehmend mehr, als die rationale. Hier ist ein im Dienste eines Autoproduzenten überinszeniertes Theater zu erleben, bei dem die bildende Kunst nur noch ein Teil ist. Doch dem inzwischen kranken Nam June Paik hätte es sicher gefallen, denn der Medienkunstpionier hatte keine Berührungsängste mit der Industrie. Und die größte Innovation in der Inszenierung ist in Technik und Design wohl doch das etwas verloren dort herumstehende neue Auto. Sympathisch ist allerdings, dass Renault von einer „Inszenierung mit Werken von Nam June Paik“ spricht und den Hauptzweck der Werbung gar nicht zu leugnen versucht.

Wie man Kunst und Autos auf Dauer verbindet, hat VW mit enormem finanziellem Aufwand in Wolfsburg vorgemacht und damit wohl auch die Konkurrenten überzeugt. Denn in der zu einem Edel-Erlebnispark stilisierten „Autostadt“ sind neben den neuen Modellen und der Gastronomie auch die künstlerischen Installationen zentral. Es ist also zu erwarten, dass sich die weiteren Marktkonkurrenten demnächst unter den neidischen Blicken der stets von Geldmangel geplagten ernsthaften Museen noch einiges einfallen lassen werden.

Kunstverein, bis 5. Dezember, geöffnet täglich 14 - 22 Uhr. Eintritt über die Hotline 0180-5333995 gratis, sonst 5 Mark.

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