Nur noch Fragen übrig

■ Peter Ustinov hat viel um die Ohren. Trotzdem kommt er heute nach Bremen und erzählt Geschichten zum „Carneval der Tiere“ und zu den „Bildern einer Ausstellung“

Der große alte Mann des Theaters in Bremen: Sir Peter Ustinov. Unvergesslich neben vielen anderen sein Auftritt als Nero in dem Film „Quo vadis?“. Aber das Multitalent Peter Ustinov macht ja noch viel mehr. Er ist Dramatiker, Zeichner, Film- und Theaterregisseur und international gefragter Kommentator für Politik und Sport. Und eine seiner Leidenschaften ist es, Texte zu schon vorhandener Musik zu schreiben. Nun kommt er mit dem Radio Sinfonie Orchester Krakau unter der Leitung von Karl Anton Rickenbacher und rezitiert einen Text zu Camille Saint-Saens‘ „Carneval der Tiere“ und Modest Mussorgkskijs „Bilder einer Ausstellung“. Warum und wie er das macht, darüber unterhielten wir uns mit ihm.

taz: Herr Ustinov, ich würde eigentlich gerne noch einmal einiges zu Ihrer aufregenden Biographie wissen. Wie kam es denn zu der Entscheidung, aus dem ersten Beruf Schauspieler noch so viel anderes zu machen?

Peter Ustinov: Ich bin nie mit irgendetwas satt. Ich habe ja, bevor ich Schauspieler wurde, als Schriftsteller angefangen und im Alter von neunzehn Jahren - ich war Soldat - ein viel beachtetes Stück über russische Flüchtlinge in London geschrieben. Und ich habe die Musik einfach geliebt. Aber ich spielte schlecht Klavier, dann schlecht Geige, dann schlecht Flöte, ... ich blieb immer ein Liebhaber, ein schüchterner Liebhaber. Na ja, ich habe dann auch frühzeitig Angebote für Opernregie bekommen, in Hamburg durch Georg Solti für die „Zauberflöte“.

Wenn Sie zurückblicken, was ziehen Sie im Nachhinein vor? Wäre vielleicht doch eher die Musik Ihr Ding gewesen? Der Dirigent Karl Anton Rickenbacher hat ja von Ihnen gesagt, Sie seien im Grunde Musiker ...

Ich habe einen musikalischen Instinkt, mehr nicht.

Mir schwindelt, wenn ich mir Ihren Tag als Schauspieler, als Regisseur, als Dramatiker, als Publizist und als vieles mehr ansehe: Wie sortiert man das im Kopf?

Das geht, weil der Medienwechsel frisch macht und nicht ermüdet.

Eine Frage zu „Bilder einer Ausstellung“. Haben Sie sich für Ihren Text auch mit den vielen Fassungen beschäftigt? Sie haben einmal gesagt, die berühmteste, die von Maurice Ravel sei „nicht sehr russisch“?

Ich habe mich schon lange mit Mussorgskij beschäftigt. Ich habe vor 20 Jahren alle seine Opern in Mailand inszeniert, mein Großvater hat ihn noch gekannt. Es gibt zwei wichtige Komponenten im russischen Leben: das schwere, starke, auch akademische und ein anarchischer Teil. Und da habe ich mir einen musikästhetischen Dialog ausgedacht zwischen Mussorgskij und Alexander Stasov, dem Kritiker, der zu dem „mächtigen Häuflein“ gehörte. Mussorgskij hat wieder einmal verschlafen, er muss sich beeilen und Stasov treffen, der eine Idee für eine Komposition hat: die Bilder einer Ausstellung. Er will ihm das einreden, weil er glaubt, dass Mussorgskij sich bei „Boris Godunow“ vollkommen überschätzt hat und dass er eine einfache Folge von Stücken gut bewältigen kann. Mussorgskij wird dann während des Dialoges mehr und mehr besoffen und am Ende rausgeschoben.

Was haben Sie sich zu Saint-Saens` „Carneval der Tiere“, in dem die Tiere vom Komponisten mit den unterschiedlichsten Mitteln karikiert werden, ausgedacht?

Alle Tiere haben eine andere Lebenslänge, zum Beispiel die Schildkröte, die hat schon 1870 den deutsch-französischen Krieg und die Ereignisse um die Pariser Kommune miterlebt und lamentiert darüber. Aber mehr will ich nicht verraten.

Saint-Saens wollte ja zunächst das Stück gar nicht veröffentlichen, weil er nicht wollte, dass er ausgerechnet mit diesem Stück berühmt werden könnte. Können Sie das nachvollziehen?

Überhaupt nicht. Es ist heute das modernste von seinen Stücken, es ist unglaublich, wieviel Humor es auch hat. Denken Sie doch nur einmal an diesen Zeitlupen-Can-Can nach Jacques Offenbach, wenn er zur Schildkröte diesen Can-Can in ein Lento dehnt.

Zum Schluss noch die Frage an einen Menschen, der sich konkret mit Politik beschäftigt: Was kann die Kunst bewirken?

Die Kunst ist lebensnotwendig für alle offenen, aber mehr noch die versteckten Fragen. Wir haben doch heute alle Antworten verloren, es sind nur noch Fragen übrig.

Ute Schalz-Laurenze

Heute, Freitag, 20 Uhr, Glocke: Peter Ustinov mit dem Radio Sinfonie-Orchester Krakau unter der Leitung von Karl Anton Rickenbacher