: Mach mir den Scharping
Hans-Werner Kroesinger inszeniert in der ehemaligen Staatsbank „Mortal Combat“
Das Gebäude der ehemaligen Staatsbank in der Französischen Straße, gleich hinter dem neuen Außenministerium, ist ein geradezu authentischer Ort für ein Theater, das symbolischer und realer Gewalt der Staatsmacht sowie deren rhetorischer Verbrämung auf den Grund gehen will. Hier residierte einst die Dresdner Bank, die Hitler am nächsten stehende Großbank. Später zog die Staatsbank der DDR ein. Der Große Saal diente als Schulungs- und Versammlungsraum der SED-Kreisleitung Mitte-Friedrichshain. Säulen und Halbsäulen, eine umlaufende Galerie und spektakulär hereinfallendes Oberlicht sorgen für ein repräsentives Ambiente; da die letzte Renovierung aber einige Jahre zurückliegt, atmet der Raum heute auch stark den Geruch des Vergangenen. Nicht so, wenn Susanne Vincent, Berthold Schneider und Christian von Börries aktiv sind – seit April dieses Jahres organisieren sie in dem prachtvollen zweistöckigen Saal Konzerte und Lesungen. Und seit vergangener Woche wird hier auch erstmals ein Theaterstück gezeigt.
Hans-Werner Kroesinger öffnet in der Staatsbank die „Kosovo Files“ und erinnert an den schon fast in Vergessenheit geratenen Quantensprung bundesdeutscher Außenpolitik. Den großen Raum nutzt der Theatermacher für die Einrichtung einer Leichenhalle: Auf schwarzen Plastikfolien liegen Kleidungsstücke wie exhumierte Körperteile angeordnet. Ein mit einem Schutzanzug bekleideter Fotograf dokumentiert die Funde. Das Publikum erhält Kennkarten, die zum Zutritt in einen von drei Räumen berechtigen. Man schlüpft in die Rolle privilegierter Beobachter, denen aber nur partielles Wissen vermittelt wird.
Die Zersplitterung von Perspektiven ist ein markantes Merkmal von Kroesingers Arbeiten, herausragend etwa in „Questions & Answers“, einem Stück zum Eichmann-Prozess. Sich über die Ereignisse in den drei Räumen austauschend, trifft sich das Publikum wieder im Großen Saal, der jetzt zum Nato-Pressezentrum umgebaut ist. Noch einmal wird das ölige Vokabular von technologischer Perfektion, präziser Abstimmung und wohl kalkulierter Dosierung abgespult. Geschmeidig erläutert Neil Wach als Presseoffizier, dass es sich um „keinen Krieg gegen die jugoslawische Bevölkerung“ handele, sondern nur um eine „Aktion gegen die repressive Politik der jugoslawischen Regierung“.
Auch Heinrich Rolfing inszeniert mit dumpfem Bariton hochfahrende moralische Entrüstung – ganz der Scharping . Mantraartig wiederholen vier Sprecher auf Englisch, Deutsch, Französisch und Holländisch, dass alle Schuld bei Belgrad liege, die Schuld am Krieg, an der Zerstörung und der durch den Boykott ausgelösten ökonomischen Krise. Kontrastiert wird diese Tod und Leiden als Kollateralschäden einstufende Argumentation mit Texten von Thukydides über den Peleponnesischen Krieg. Von Unnachgiebigkeit und der Berufung auf höheres Recht ist auch hier die Rede, aber ebenso von Hass und Blutrausch, der sich bis zur endgültigen Vernichtung des Gegners steigert.
Kroesinger gelingt mit „Mortal Combat. The Kosovo Files“ der Balanceakt, sich nicht für oder gegen einen der Kombattanten zu entscheiden. Gräueltaten der Serben werden nicht mit Nato-Schlägen relativiert. Aber der verschämt verschwiegene Stachel, dass dieser Krieg auch von Nato-Seite kein gerechter gewesen ist, beginnt wieder heftiger zu schmerzen. TOM MUSTROPH
Heute, 20 Uhr, Staatsbank, Französische Straße 35
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen