: Unser Lehrer Doktor Specht
Berlins ewig charmanter Politaktivist bekam Besuch vom Staatsschutz. Doch der gefälschte Abgeordnetenausweis, den die Beamten bei Christian Specht (31) vermuteten, erwies sich als echter Mitarbeiterausweis – ausgestellt von der PDS
von RICHARD ROTHER
Christian Specht kennt die Polizei. Meistens tritt der stadtbekannte Politikaktivist, der auf jeder linken Demo zu finden ist, den Ordnungshütern unerschrocken entgegen: mal mit einer Holzkamera, mal mit einer Spielzeugpistole bewaffnet. Gestern war es umgekehrt: Drei Beamte des polizeilichen Staatsschutzes besuchten Specht in der Neuköllner Wohnung, in der er mit seiner Oma wohnt. In der Hand hielten sie einen Durchsuchungsbeschluss. Der Vorwurf: Urkundenfälschung.
Das Urkundenunglück hatte am 14. September 2000 seinen Lauf genommen. An jenem Donnerstag war Christian Specht in der Kreuzberger Oranienstraße unterwegs, als ihm einige eifrige Schutzpolizisten auffielen. Die machten sich an einem Transparent zu schaffen, das quer über die Straße gespannt war. „Freiheit für Mumia Abu Jamal!“ stand darauf. Christian Specht solidarisierte sich – wie es seine Art ist – spontan mit dem schwarzen US-Journalisten, der von der Hinrichtung bedroht ist. „Sofort loslassen, das ist mein Transpi“, forderte der 31-Jährige. Um seiner Aussage Ausdruck zu verleihen, zückte er einen Ausweis aus dem Abgeordnenhaus.
Die Beamten nahmen daraufhin Spechts Personalien auf, schöpften aber noch keinen Verdacht. Sie ließen ihn gehen. Später aber müssen den Beamten Zweifel an der Seriosität des Ausweisträgers gekommen sein. Flugs schrieben sie eine Anzeige – wegen des Verdachts der Urkundenfälschung. Dass Christian Specht Abgeordneter des Landesparlaments sein konnte – das trauten die Beamten dem jungen Mann offenbar nicht zu. Dabei ist Specht nicht nur Mitglied fast aller demokratischen Parteien, er hat sogar schon für die PDS und die KPD/RZ kandidiert.
Doch Staatsschutz und Justiz kümmerte das nicht. Das Verfahren nahm, wie ein Justizsprecher gestern sagte, seinen „normalen Gang“. Es habe der Verdacht bestanden, dass sich Specht mittels Urkundenfälschung zu Unrecht als Abgeordneter ausgegeben habe. Dieses Offizialdelikts habe man sich annehmen müssen.
Der Staatsschutz, eine Unterabteilung des Landeskriminalamtes (LKA), übernahm die Ermittlungen, erwirkte schließlich einen Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht. Diesen wollten die Beamten am Donnerstagnachmittag das erste Mal vollstrecken. Allerdings war Christian Specht – wie konnte es anders sein – in der Stadt unterwegs. Möglicherweise hielt er sich gerade in der taz auf, wo er im dritten Stock einen Schreibtisch nebst Telefon hat. Für Oma Specht war deshalb klar: „Kommen Sie morgen Früh wieder.“
Gesagt, getan. Eine Durchsuchung der Neuköllner Wohnung war gestern jedoch nicht nötig. Christian Specht rückte den Ausweis des Abgeordnetenhauses – Nummer 0029 – freiwillig heraus, und die LKA-Beamten zogen zufrieden ab. Wenige Stunden später tauchten sie wieder auf – diesmal im Abgeordnetenhaus. Specht war im Büro des PDS-Abgeordneten Steffen Zillich. Der Grund des schnellen Besuches: Die LKA-Spezialisten hatten herausbekommen, dass Spechts Ausweis echt ist, und wollten ihn zurückbringen.
Specht benötigt den Ausweis für seine tägliche Arbeit: Er verrichtet Botengänge für die PDS-Fraktion. Der Ausweis berechtigt ihn beispielsweise – wie andere Mitarbeiter der Fraktion auch – zu bevorzugtem Zutritt zu den Plenarsitzungen. Mit dem Ausweis können die Fraktionsmitarbeiter auch in das Hohe Haus, wenn eine erhöhte Sicherheitsstufe gilt – etwa wegen eines Staatsbesuches.
Fazit: Nach mehr als zwei Monaten intensiver Ermittlungstätigkeit sind die Staatsschützer dank ihres Lehrers Christian Specht nun schlauer: Ein Abgeordnetenausweis ist etwas anderes als ein Mitarbeiterausweis. Der PDS-Mann Steffen Zillich: „Das hätten die mit einem Anruf beim Pförtner rauskriegen können.“ Fürs nächste Mal hier die Einwahlnummer des Landesparlaments: 23 25-0.
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