: Jede Stimme zählt – irgendwie
Die Prüfung des immer noch gerichtlich umstrittenen Wahlvorgangs in Florida ergibt erstaunliche Diskriminierungen in ganz bestimmten Wahlkreisen
aus Washington PETER TAUTFEST
„Florida ist offenbar nicht in der Lage, faire Wahlen abzuhalten – gewählt wurde in Florida wie in . . . sagen wir, Rumänien.“ So kommentiert der Verfassungsrechtler Edward Eberle die Wahlprozedur vom 7. November, deren Aufarbeitung jetzt, fast einen Monat später, das amerikanische Justizsystem immer noch auf eine harte Bewährungsprobe stellt – mit noch ungewissem Ausgang.
Noch bevor die Wahllokale in Florida am Tag der Präsidentenwahl geschlossen hatten, waren Vorwürfe wegen „Unregelmäßigkeiten“ sowie wegen der Benachteiligung vor allem schwarzer Wähler laut geworden. Der berüchtigte Schmetterlingswahlzettel, auf dem die Anordnung von Kandidaten und Kästchen viele in Palm Beach County lebende pensionierte Juden dazu verleitete, für den unter Antisemitismusverdacht stehenden Pat Buchanan zu stimmen, war nur die schlimmste Peinlichkeit und eine, die den Wählerwillen vor allem älterer weißer Wähler verfälschte. Benachteiligt aber fühlten sich besonders schwarze Wähler in Landkreisen und Bezirken, in denen sie die Bevölkerungsmehrheit stellen.
Noch während alle Welt vom schlechten Design der Schmetterlingswahlzettel sprach, war es die Palm Beach Post, die darauf hinwies, dass in dem Landkreis, der ja nicht nur aus den Villen und Hochhausburgen am Atlantikufer und den geleckten Stadtrandsiedlungen besteht, besonders viele Wahlzettel in Belle Glade ungültig waren, einem Ort mit hohem schwarzem Bevölkerungsanteil inmitten von Zuckerrohrfeldern.
Unmittelbar nach der Wahl kam Jesse Jackson nach Palm Beach, und in Miami begann der NAACP, Amerikas älteste Bürgerrechtsorganisation, Zeugenaussagen und eidesstattliche Versicherungen über die Benachteiligungen schwarzer Wähler und die Unterschlagung schwarzer Stimmen zu sammeln. Ein Schulleiter berichtete davon, dass er am Morgen nach der Wahl in seiner Schule, die als Wahllokal gedient hatte, eine offensichtlich nicht abgeholte und nicht ausgezählte Wahlurne gefunden habe. Die NAACP drängte das FBI, Wahlunregelmäßigkeiten in Florida hinsichtlich möglicher Verletzungen des Wahlrechtsgesetzes aus dem Jahre 1965 zu untersuchen. Inzwischen hat das FBI bekannt gegeben, dass es ein Team nach Florida geschickt hat.
Die New York Times sammelte die Aussagen zurückgewiesener Wähler, deren Namen nicht auf den ausliegenden Wahllisten zu finden waren. Anrufe bei der zentralen Wählerregistratur scheiterten daran, dass die Leitungen ewig besetzt waren. Etliche Landkreise und Bezirke hatten in Erwartung eines Ansturms auf die Wahllokale die Wahlleiter mit Computern ausgestattet, die einen schnellen Abgleich zwischen ausliegenden und zentral registrierten Wählerlisten ermöglichten. Die Mehrheit dieser Laptops wurde – surprise, surprise! – in Bezirken mit vorwiegend weißer, nicht aber in solchen mit schwarzer Wählerschaft ausgegeben.
Die Washington Post veröffentlichte am Wochenende eine statistische Untersuchung des Verhältnisses von ungültigen Stimmen und Demografie der Wahlkreise: Besonders viele ungültige Stimmen wurden in Wahllokalen abgegeben, in denen mehrheitlich Schwarze wählen. Einen gewissen Prozentsatz ungültiger Stimmen gibt es bei jeder Wahl. Er liegt landesweit bei durchschnittlich 2 Prozent, in Florida lag er dieses Jahr bei 2,9 Prozent, und in den 21 von Floridas 67 Landkreisen mit überwiegend schwarzer Bevölkerung betrug er 6 Prozent – gar 10 Prozent in den schwarzen Wahlbezirken das Landkreises Miami-Dade. Normalerweise stellen die ungültigen Stimmen einen Bruchteil des Stimmenvorsprungs dar, mit dem der Wahlsieger in Führung liegt. In Florida aber ist die Anzahl ungültiger bzw. nicht lesbarer Stimmen das 335fache des Stimmenvorsprungs von George W. Bush.
Ungültige Stimmen kommen durch eine Reihe von Umständen zustande, wie veraltete Wahlmaschinen und verwirrendes Wahlzetteldesign. Während Wahllokale in wohlhabenden Bezirken neuere Technik verwenden und außerdem mit Scannern ausgestattet sind, die den Wähler bei Abgabe seiner Stimme darauf aufmerksam machen, wenn er zwei- oder keinmal für den Präsidenten gestimmt hat, fehlt eine derartige Technik in ärmeren und schwarzen Wahlbezirken.
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