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Lieber Produkt als Opfer des Systems sein

Seinen Stil schulte Marek Hlasko an irreführenden Spitzelberichten: „Die schönen Zwanzigjährigen“ sind seine Aufzeichnungen aus dem Exil

von OLGA MANNHEIMER

„Ich weiß nur, daß ich laufen werde – den ganzen Weg; und daß ich sprechen werde – die ganze Zeit.“ Marek Hlaskos Antwort auf die Frage eines Kritikers, worauf er hinauswolle, fasst alles Wesentliche zusammen: sein atemloses Leben und das eindringliche Erzählen. Das eine wie das andere hat Hlasko, Jahrgang 1934, zu einem Literaturidol der polnischen Nachkriegszeit gemacht. Mit 20 Jahren entdeckt, mit 22 bejubelt, darf er mit 24 Paris besuchen – und verwandelt sich dort mit einem Schlag zum „Vaterlandsverräter“: Zwei Erzählungen, 1958 in einem Exilverlag veröffentlicht, versperren ihm endgültig die Rückkehr nach Polen.

Rund ein Jahrzehnt lang zieht Hlasko durch Westeuropa, Israel und die USA. Er verdingt sich als Gelegenheitsarbeiter, trinkt viel, schreibt bittere, harte Kurzgeschichten, die auf inoffiziellen Wegen in die Heimat gelangen und ihn als Wortführer der desillusionierten Jugend etablieren. Die Bilanz seiner Wanderschaft liefert er in den Aufzeichnungen „Die schönen Zwanzigjährigen“; das Buch, auf Polnisch 1966 in Paris erschienen, liegt nun zum ersten Mal auf Deutsch vor.

Diese Lebensgeschichte kann man nur bedingt autobiografisch nennen: Erfahrenes und Erdachtes sind dicht verwoben. Die Fiktion dient dabei nicht der Selbstverklärung, im Gegenteil. Mit herausfordernder Offenheit schildert Hlasko seine Beteiligung an Gaunereien, die damals den Alltag eines polnischen Arbeiters prägten. Als jugendlicher Kraftfahrer zur Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei gezwungen, habe er seinen Schreibstil an irreführenden Spitzelbriefen geschult, sagt er: „Bücher muß man schreiben wie Polizeiberichte und dabei bedenken, daß ein dumm verfaßter Bericht vor allem dich selbst vernichten kann.“

In der Tat ist Schreiben für Hlasko sowohl Selbsterforschung als auch Mystifizierung. Doch sein Buch gibt den Geschmack der Emigration und des realen Sozialismus überzeugend wieder – zumal er sich lieber zum Produkt als zum Opfer des Systems stilisiert. Die Pose des höhnischen Hooligans, Schlägereien und Trinkgelage haben die Legende um seine Person reichlich genährt; ebenso sein rätselhafter Tod: 1969 stirbt Hlasko in Wiesbaden an einer Überdosis Alkohol und Tabletten; bis heute wird gestritten, ob es Unfall oder Selbstmord war.

Gestritten wird auch über die Persönlichkeit des Schriftstellers, der in Polen nach wie vor viel gelesen wird. Für die einen ist er ein enttäuschter Romantiker, der seine Gefühle hinter einer harten Maske verbirgt, für die anderen ein skrupelloser Mythomane. Aus „Die schönen Zwanzigjährigen“ lässt sich nur eines eindeutig folgern: Er besaß ein sagenhaftes Erzähltalent. Ironie, Tempo, lebendige Dialoge, treffende Details – alles ist in dieser Prosa zu finden. Auch der „wahre“ Hlasko kommt stellenweise zum Vorschein, aber es fragt sich, an welchen Stellen. Der Ton wechselt unvermittelt von Skepsis zu Zorn, die Bestürzung geht über in das zynische Grinsen, das sein Markenzeichen wurde.

„Man sollte nicht einen Augenblick vergessen, daß es sich nie so gut lebt wie auf Kosten der Arbeiterklasse; nicht immer hat man allerdings die Möglichkeit“ – so zum Beispiel sein Fazit über den Kommunismus, mit dem er das Kapitel über das Überleben im Exil einleitet. Und er fährt fort: Von Spionage oder ehrlicher Arbeit dürfe ein polnischer Emigrant nicht einmal träumen, als „enttäuschter Kommunist“ komme er gegen die Russen nicht an. Aber es gebe andere Möglichkeiten: In Deutschland fahre man am besten, wenn man ein an Verfolgungswahn leidendes Naziopfer spiele. Wer fürs Irrenhaus kein Talent habe, solle sich an Zuhälterei halten. Auch das Gefängnis sei keine schlechte Zuflucht, „besonders wenn einer Kontakt zu seiner Muttersprache anknüpfen möchte, die für einen Schreibenden unerläßlich ist: Jeder dritte Gefangene ist Pole.“ Das Gefängnisspital solle man allerdings meiden: „Rauchverbot und schauderhafte Langeweile.“

Die sachkundigen Ratschläge, im trockenen Stil einer Gebrauchsanweisung verfasst, karikieren Nöte und Verrenkungen eines Emigrantenlebens im Klima des Kalten Kriegs. Der ideologischen Gefühlsduselei setzt Hlasko sein Grinsen entgegen, mit ernster Miene empfiehlt er, aus Märtyrermythen Kapital zu schlagen. Wie und wer auch immer er gewesen sein mag – als Spötter ist er gnadenlos gut.

Marek Hlasko: „Die Schönen Zwanzigjährigen“. Aus dem Polnischen vonRoswitha Matwin-Buschmann.Verlag Neue Kritik, Frankfurt a. M. 2000, 240 Seiten, 38 DM

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