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Göttliche Pädophilie im Aschram?

Bei den Anschuldigungen gegen den indischen Guru Sai Baba, Anhänger sexuell missbraucht zu haben, spielt das Internet als Forum eine wichtige Rolle. Der wie ein Gott verehrte Meister verfügt über viel Geld und gute Kontakte zu Indiens Elite

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Erneut ist ein indischer Guru in die Schlagzeilen geraten. Nach Chandraswamy, dem Freund des Waffenhändlers Adnan Kashoggi, und Rajneesh alias Osho, dem Freund irdischer Lustbarkeiten, ist die Reihe nun an Sathya Sai Baba. Der 75-Jährige, dessen Markenzeichen eine riesige Afro-mähne und das „Materialisieren“ von Dingen aus Asche und Luft ist, wurde in jüngster Zeit von ehemaligen Schülern der Pädophilie und Sodomie beschuldigt.

In europäischen und australischen Publikationen warfen sie dem im südindischen Puttaparthi bei Bangalore lebenden Swami vor, ihre spirituelle Abhängigkeit jahrelang ausgenutzt zu haben, um sie sexuell zu missbrauchen. Das eigentliche Forum solcher Schilderungen sind Internet-Websites. Nachdem ein ehemaliger englischer Sai-Baba-Schüler dort in einem Dokument namens „The Findings“ zahlreiche Fälle aufgelistet hatte, häufen sich die Klagen früherer Anhänger. Jens Sethi, ein einstiger Baba-Schüler aus München, hat inzwischen Klage gegen den Gottesmann eingereicht.

Nun hat auch Indiens größtes Wochenmagazin India Today dem kontroversen Swami eine Titelgeschichte gewidmet und damit eine Bombe gezündet. Im Gegensatz zu seinen spirituellen Kollegen verfügt Sai Baba nämlich nicht nur im Ausland, sondern auch in Indien über eine riesige Gefolgschaft. Zwar kommen seine Anhänger aus aller Welt, und über 2.500 Sai-Baba-Zentren sind über den Globus verstreut. Doch ein Großteil der 25 Millionen Gefolgsleute rekrutiert sich aus der indischen Mittelschicht. Die indische Landbevölkerung steht dem Wundermann meist skeptisch gegenüber. Sie nimmt ihm auch übel, dass er sich als Reinkarnation des Armen-Asketen Sai Baba von Shirdi ausgibt. Doch in den Großstädten übt die Mischung aus wohl formulierten Lebensweisheiten und Sozialtätigkeit, die er zu bieten hat, eine starke Anziehung auf eine spirituell ausgehungerte Mittelschicht aus. Sai Baba verfügt nicht zuletzt wegen seiner philanthropischen Tätigkeit – er hat Schulen, Krankenhäuser, Bewässerungsprojekte und eine angesehene Universität gegründet – auch unter Politikern über eine große Gefolgschaft.

Minister, ehemalige Oberste Richter, Industriekapitäne und Professoren waren denn auch dabei, als Sai Baba am 23. November seinen 75. Geburtstag feierte. Über 250.000 Menschen sollen sich beim Stadium von Puttaparthi versammelt haben, als „der Cäsar im Afrolook im Triumphzug in sein privates Kolosseum“ einzog. Elefanten, Kinderreigen, Salutschüsse begleiteten seinen Thronwagen aus Silber und Gold. Indiens Kulturminister Murli Manohar Joshi überbrachte die Grüße der Regierung in Delhi, indem er Sai Babas Füße berührte.

Es verwundert daher nicht, dass alle Anschuldigungen gegen den Heiligen in Indien bisher totgeschwiegen wurden. Bereits frühere Zwischenfälle – etwa die Erschießung von sechs Getreuen bei einem angeblichen Attentatsversuch in seinem Wohnquartier 1993 – wurden unter den Teppich gekehrt. Sai Baba hat nicht nur Freunde in der Elite, er dürfte auch über eine gut gefüllte Kriegskasse verfügen, die jeden Zeitungsherausgeber vor einer Leumundsklage erzittern lässt. Zudem wäre es schwierig, homosexuellen Missbrauch oder Sodomie, in Indien strafbare Handlungen, zu beweisen. Nach dem Bericht von India Today wird das Internet zweifellos auch für indische Opfer zur anonymen Anklagebank werden.

Der Sai-Baba-Trust hat bisher zu allen Vorwürfen geschwiegen. Doch informell werden die Anhänger über Sai-Baba-freundliche Websites aufgefordert, sich in ihrem Glauben nicht beirren zu lassen. Am besten sei es wohl, so wird ein US-Gefolgsmann zitiert, man gehe dem Internet gänzlich aus dem Weg: „Swami fordert uns auf, nicht das Internet, sondern das innere Netz zu schauen.“

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