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Hilflose Schweigespirale

■ Spannungsreich: Thalheimers „Liliom“ am Thalia Theater

Die Zeichen nehmen überhand in dieser Welt. Manchmal kann man ihnen nur die Ignoranz der Wortlosigkeit entgegen setzen. So wie Andreas Zavoczki, genannt Liliom, im gleichnamigen Theaterstück von Franz Molnár. Regisseur Michael Thalheimer hat zur Premiere am Thalia Theater die wesentlichen Worte belassen und auf die Symbolkraft von Bildern und die Gesten seines hervorragenden Ensembles gesetzt.

Ein riesiger hölzerner Quader auf der Bühne (Bühne und Kostüme: Olaf Altmann) symbolisiert die Abgeschlossenheit nicht nur der Vorstadtwelt, in der Autor Molnár das Stück zur Jahrhundertwende angesiedelt hatte. Heute ist es eine Welt voller greller Zeichen, wie die Piktogramme einer Videoinstallation zeigen. Peter Kurth ist Liliom, der Ausrufer am Ringspiel. Er gibt ihn massig, schweigsam und mit vielen Fragezeichen auf der Stirn. Liliom trifft auf die junge Julie. In ihrer wunderbar burschikosen Art zeigt Fritzi Haberlandt, dass sie weit mehr als nur komisch sein kann. Lange schweigen sich die beiden an, dann finden sie doch zueinander. In einem grotesk-hilflosen Akt wirft er sie an die Wand, vergebens um Balance ringend.

Eine nüchterne Romanze beginnt. Wegen der Liaison wird Liliom von der Karussellbesitzerin Frau Muskat (Anna Steffens) gefeuert. Da scheint es für das Paar noch Hoffnung auf Glück zu geben. Er und Julie sind Seelenverwandte. Wieso sie bei ihm bleibe, fragt er, sie antwortet „na, so halt“. Nein, Julie ist kein Opfer. Sie bleibt aus freien Stücken. Auch ihre tumbe Freundin Marie (grandios komisch: Alexandra Henkel), die sich mit einem nervös ihren Ärmel zupfenden Hanswurst namens Wolf (Benjamin Utzerath) zusammentut, kann sie nicht davon abhalten.

Das Schweigen ist die eine Haltung in diesem Stück, von Thalheimer mitunter gnadenlos überdehnt. Die andere ist die Gewalt. Sie führt da weiter, wo die menschliche Sprachlosigkeit übermächtig wird. Und so schlägt Liliom seine Julie. Das Karussell dreht sich nicht mehr, aber die Bühne. Sie treibt das Leben, die Gewaltspirale und Lilioms Selbstzerstörung voran. Eine Weile stammeln, schreien, schweigen sich die beiden an. Dann wird Julie schwanger. Als ein Coup zwecks Geldbeschaffung fehlschlägt, nimmt sich Liliom das Leben. „Der eine redet mit dem Mund, der andere mit dem Messer“, sagt sein Kumpel Ficsur. „Das hängt davon ab, wozu einer das Herz hat.“ Als Liliom tot ist, gesteht Julie: „Jetzt sag' ich's dir ... du alter, schlechter, du böser Kerl ... du elender, roher, niederträchtiger, lieber Mensch.“

Liliom landet im Himmel. 16 Jahre später darf er für einen Moment der Wiedergutmachung auf die Erde zurück und scheitert erneut. Am Ende schüttelt seine Tochter Luise (Fritzi Haberlandt) ihre Arme so, wie er es einst tat. Das anzuschauen sind große Momente. Ein rarer Theaterabend.

Annette Stiekele

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