: „Gemalter Hexenspuk“
Wo erotische Ekstase in religiöse umklappt: Emil Noldes umstrittene „biblische und Legendenbilder“ in der Kunsthalle ■ Von Petra Schellen
Agape heißt Liebesmahl. „Das abendliche Mahl der christlichen Gemeinde der ersten Jahrhunderte, ursprünglich wohl mit der Feier des Abendmahls verbunden.“ Sachlich äußert sich das zeitgenössische Lexikon; wenig sachlich war die Reaktion der Zeitgenossen Emil Noldes auf dessen teils erotische „biblische und Legendenbilder“, von denen jetzt 70 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen sind. Irritierend und bis heute umstritten sind jene Kreuzigungs-, Tänzer- und Mariengemälde, die für Nolde so wichtig waren, dass er 55 von ihnen in einer speziellen Liste zusammenfasste.
Praktiziert hat er auf ihnen dasselbe wie auf seinen übrigen Bildern: mit Hilfe grotesker Verfremdung das Elementare aus der Außenwelt herausgepresst und in Intensivfarben auf die Leinwand gebannt. Doch wenn's um Religion geht, wandeln sich wohl die Kriterien, und (nicht nur) deshalb zählten auch diese Werke zu jenen, die die Nazis in der Ausstellung „Entartete Kunst“ als „gemalten Hexenspuk“ denunzierten. Als ungeheuerlich eigenwillig empfand das gesittete Bürgertum die orientalischen Frauentypen; als heikel derb galten Verspottungsszenen wie Martyrium II, dessen Vordergrundköpfe klare Anspielungen auf die in zeitgenössischen Karikaturen gepflegte „jüdische Physiognomie“ als „Prototyp des Bösen“ waren.
Nur aus der Antithese ergebe sich Vollständigkeit, betonte Nolde, forderte aber zugleich einen harmonischen Einklang des Menschen mit der Natur, die allein – streng pantheistisch gedacht und den Gedanken Franz Marcs verwandt – den Zugang zur religiösen Erfahrung eröffne.
Tasächlich finden sich beide Kompositionsprinzipien in den zwischen 1900 und 1951 entstandenen Werken. In den Kokon seines türkis-geistigblauen Gewandes hat sich etwa der Eremit im Baum eingewoben, dessen Silhouette an Barlachs frühe Figuren erinnert. Wie er sich hält auf dem Baum, spielt keine Rolle; durchs lange Dort-Kauern ist er längst Teil des Geästs geworden. Nicht mehr Teil der (paradiesischen) Natur sind – eine Menschheitsentwicklungsstufe früher oder später, je nach Perspektive – auf dem Bild Verlorenes Paradies Adam und Eva, die wie aus Versehen erwachsen gewordene Kinder wirken; die Frau horcht mit entsetzten, allzu blauen Augen in sich hinein.
Oder ist es eher der Blick der Entrückten, den Nolde hier präsentiert? Jener wässrig blaue Blick, den die pastos auf Sackleinen gemalte Eva mit dem Himmelfahrts-Jesus des Polyptychons Das Leben Christi teilt, der mit eckiger Siegergebärde gen Himmel fährt? Und was haben sie zu bedeuten, die stetig wiederkehrenden tierhaften Zähne, die sich auf etlichen Martyriums- und Verspottungsbildern finden? Sind sie atavistische Inku-nabeln des Bösen? Oder ist es jene bittere Gratwanderung zwischen Grinsen und Schadenfreude, die Nolde hier praktiziert?
Merkwürdige Korrespondenzen zwischen Satire und banal Groteskem finden sich auf Gemälden wie Martyrium II, und fast scheint es, als könnte die intellektuelle Karikatur, wenn überzogen, in die simple Bauerngroteske umschlagen. Und vermutlich wollte der rechtschaffene Zeitgenosse nicht vorgeführt bekommen, hinter welchen Masken sich Intoleranz gegenüber Andersartigem – sei es ein sanft leidender Jesus, sei es ein eigenwillig sich ausdrückender Künstler – verbergen und in welchen (als harmlos-volkstümlich eingestuften) Regionen des Geistes Hass wachsen kann. Vielleicht war es ihnen suspekt, eine orientalische Maria ihren Jesus auf der Polyptychon-Tafel Heilige Nacht wie ein Geschenk gen Himmel heben zu sehen, als wolle sie dem Firmament noch einen Stern hinzufügen.
Die orientalischen Bibelbilder und Legenden seiner Kindheit habe er bei diesen Gemälden vor Augen gehabt, sagte Nolde, und so ist er wohl auch auf Motive wie Die Bekehrung gekommen, eine dreiteilige Umsetzung der Legende Die Heilige Maria von Ägypten, die der Hamburger Kunsthalle gehört. Sinnliche Bilder hat Nolde hier geschaffen, die jene subtile Parallele, das Umklappen von erotischer in religiöse Ekstase andeuten: Zur Heiligen wurde nach einer Vision die ägyptische Prostituierte Maria, die daraufhin um Verzeihung für ihr bis dahin „sündiges“ Leben bat – eine „Vorher-Nachher“-Trennung, die auf dem Gemälde Ekstase aufgehoben scheint. Denn ganz klar ist hier nicht, ob die im angedeuteten Rosenhag erscheinende Maria der nackten Schwarzhaarigen am Boden das Kreuz drohend oder vergebend entgegenhält – und ob diese Geste überhaupt moralisierend gemeint ist: Die reale und die imaginierte Maria sehen einander irritierend ähnlich. Ist die reli-giöse also bloß die „andere Seite“ der sinnlichen Ekstase?
Fragen, die zu beantworten Nolde seinen Betrachtern überließ – aber nicht, ohne ihnen auch schlicht anrührende Bibelszenen mitzugeben: jene Grablegung zum Beispiel, auf der zwei blau Gewandete den zerbrechlichen Körper Jesu in ungelenk zärtlicher Umarmung ins Grab balancieren.
bis 18. 2. 2001, Hamburger Kunsthalle. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr, 25. + 26. 12. 10-18 Uhr, 1. 1. 2001 von 12 - 18 Uhr. Am 24. 12. und 1. 1. geschlossen. Katalog 45 Mark.
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