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Wem die Stunde schlägt

■ Die Kita-Card soll kommen, sagen Jugendsenatorin Ute Pape und ihr Amtsleiter Jürgen Näther im taz-Gespräch. Eltern, die über ihre Arbeitszeit hinaus Betreuung wünschen, sollen extra zahlen

taz hamburg: Haben Sie ein wenig Zeit gebraucht, um sich mit der Kita-Card-Reform anzufreunden?

Ute Pape: Ich bin von diesem System überzeugt. Aber es dauert einige Zeit, bis man sich in dieses Regelwerk eingearbeitet hat.

Und die Kita-Card kommt?

Pape: Ja, weil sie zwei große Vorteile bringt: Erstens bekommen die Eltern dieser Stadt die Möglichkeit, die Kita ihrer Wahl zu suchen. Dies bedeutet, dass diese sich stärker auf Elternwünsche einstellen müssen. Eine Entwicklung, die im Zuge der Diskussion auch jetzt schon stattfindet. Zum zweiten soll es mit diesem System gelingen, die staatlichen Zuschüsse effizienter einzusetzen. Wir zahlen im Jahr 560 Millionen Mark dafür und sind verpflichtet, dies effizient einzusetzen.

Woher nehmen Sie die Vermutung, dass dies jetzt nicht geschieht?

Pape: Wir haben Kenntnisse darüber, dass eine Vielzahl von Kindern nachmittags frühzeitiger abgeholt wird und Eltern die Betreuungszeit nicht voll ausschöpfen. Dies ist plausibel, weil Eltern im jetzigen System die Plätze nehmen müssen, die gerade frei sind. So kann es kommen, dass Bedarf und Angebot nicht zusammen passen.

Wenn Sie in großem Umfang Acht-Stunden-Plätze zu kleineren Teilzeitplätzen reduzieren, werden Erzieherinnen gezwungen, Stunden abzugeben, und weniger verdienen. Haben Sie die sozialen Folgen dieser Reform abgeschätzt?

Pape: Das muss man mit im Blick haben. Wie künftig die Arbeitszeitwünsche der einzelnen Mitarbeiterinnen sind, muss man sehen. Aber es ist in anderen Bereichen auch so, dass Arbeit in bestimmten Zeiträumen angeboten wird.

Es soll bislang ein stilles Einvernehmen zwischen Behörde und Trägern gegeben haben, dass die von Ihnen hier angeführte Unternutzung ganz in Ordnung ist. Denn für Kinder, die länger in einer Kita sind, ist es besser, wenn sie nicht kontinuierlich mit 20 anderen in einer Gruppe sind.

Pape: Kleine Gruppen sind angenehmer als große, das ist natürlich so. Aber dies ist eine Frage der Standardsetzung. Dann muss man sagen, wir wollen am Nachmittag kleine Gruppen machen. Was wir hier erleben, ist eine schleichende Unternutzung. Das dürfen wir nicht finanzieren.

Stichwort Iska-Studie: In dieser Expertise wird ein Szenario durchgespielt, wie die Kita-Card funktionieren könnte. Es gibt die Prämisse, Eltern den Kita-Platz nur für die Arbeitsdauer und 45 Minuten Fahrzeit zu genehmigen. Wird dies Gesetz?

Pape: Nein, es sind nur Prämissen getroffen worden, um im Rahmen der Befragung das zu ermitteln, was ermittelt werden sollte: Das Nachfrage-Potential. Die Iska-Studie ist keine Bedarfsfeststellung.

Es heißt, die Nachfrage-Macht der Eltern soll gestärkt werden. Mit diesen strengen Vorgaben wird diese aber geschwächt, wenn Väter und Mütter den Platz nur in der Zeit bekommen, in der sich ihre Arbeitszeiten überschneidet. Sowas macht den Alltag von Familien noch stressiger

Pape: Man darf bei der Kita-Card nicht zwei Dinge vermischen. Das eine ist, welcher Bedarf von Seiten des Jugendamtes bewilligt wird, der sich an Vorgaben orientieren muss. Dieser Bedarf wird subventioniert. Da zahlen die Eltern einen Eigenanteil und die Stadt gibt den Rest dazu. Im Durchschnitt sind dies 86 Prozent! Dieses Sys-tem gilt für den festgestellten Bedarf. Darüber hinaus bietet das neue System den Eltern die Möglichkeit, sich Stunden hinzuzukaufen, wenn sie sagen, sie kommen mit dem festgestellten Bedarf nicht aus.

Das ist mir ganz neu. Reden Sie von Früh- und Spätdienst?

Pape: Ich rede von dem Fall, dass das Amt sagt, ,Sie bekommen fünf Stunden bewilligt'. Und das Elternpaar sagt, ,Mein Gott, da müssen wir uns aber beeilen, wir nehmen eine Stunde dazu, dann haben wir es komfortabler'. Das ist auch möglich in Zukunft. Das ist dann aber eine nichtsubventionierte Stunde.

Wie teuer wird die? 100 Prozent der Kosten?

Jürgen Näther: Das ist Verhandlungssache mit dem Träger.

Die Betreuungsstunden werden beim Träger dazugekauft?

Näther: Eltern und Träger müssen sich über die Konditionen einigen.

Mütter, die erwerbstätig sind, sind meist doppelt belastet, weil sie auch den Haushalt bewältigen. Für zusätzliche Bedarfe, die dadurch entstehen, sollen sie den unsubventionierten Preis zahlen?

Pape: Sie zahlen den Preis, den sie mit dem Anbieter vereinbaren. Das ist, als wenn sie einen ganz privaten Vertrag abschließen.

Abgesehen davon kann man davon ausgehen, dass die Prämissen der Iska-Studie Gesetz werden? Beispielsweise, dass Mütter, die weniger als drei Tage arbeiten, keinen Kita-Platz bekommen und mit einer Tagesmutter versorgt werden? Oder sind dies nur Ideen?

Näther: Die Iska-Studie basiert auf Annahmen. Diese Annahmen haben wir mit dem Institut besprochen. Das heißt nicht, dass wir davon ausgehen, dass dies das politische Regelwerk ist. Das kennen wir noch nicht. Das ist im Beratungs- und Entscheidungsprozess.

Wie geht es weiter? Wird jetzt eine Entscheidung getroffen oder soll es weitere Studien geben?

Pape: Selbst das ist nicht endgültig entschieden. Wir neigen dazu, es bei dieser Studie zu belassen. Sie besagt, dass das Nachfragepotential höher ist als das gegenwärtige Angebot. Bei der Frage, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind, muss man auch eine Bewertung des Angebots vornehmen. Wir haben das Angebot in dieser Stadt in den 90er Jahren um 40 Prozent ausgebaut. Bei einer gleichzeitigen Steigerung der Kinderzahlen um vier Prozent. Wenn wir unser Angebot mit anderen Städten vergleichen, ist dies sehr hoch. Wenn ich mal den Bereich Krippe betrachte, da hat Hamburg einen Versorgungsgrad von 17,5 Prozent. Kiel hat 4,1 Prozent, Düsseldorf 4,2 Prozent. Es gibt natürlich auch bessere als diese beiden.

Und Berlin?

Pape: Ich rede von westdeutschen Städten.

Der Ausbau in den 90ern wurde im Hinblick auf den bundesweit verankerten Rechtsanspruch für den Vier-Stunden-Platz betrieben. Es gab das Ziel ihrer Partei, darüber hinaus bei Berufstätigkeit einen Quasi-Rechtsanspruch für eine dafür ausreichende Betreuungsdauer zu gewähren. Dies wurde auch bei vielen öffentlichen Diskussionen zur Kita-Card angekündigt. Was ist mit dem Rechtsanspruch? Wird da noch was draus?

Pape: Diese Frage wird im Zusammenhang mit der Erstellung des Regelwerks für die Kita-Card zu klären sein. Die Iska-Studie besagt, dass wir über das Angebot hinaus noch weitere Nachfragewünsche haben. Inwiefern wir diese erfüllen können, hängt auch von der Frage ab, was wir uns leisten können.

Oder wollen.

Pape: Wir leisten eine Menge.

Nochmal zum Quasi-Rechtsanspruch. Wenn es stimmt, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt – wie Iska sagt – und wenn künftig der Kita-Etat auf die Bezirke aufgeteilt und budgetiert wird, dann muss es doch auch Kriterien geben, nach denen die Kita-Cards vergeben werden. Wer soll da an erster und wer an letzter Stelle stehen? Es gibt in ihren Haus ein Papier dazu.

Pape: Es wäre sträflich, wenn es keine Papiere und keine Überlegungen gäbe. Aber es gibt noch keine Entscheidung.

In dem Papier, das ich meine, wurde Berufstätigkeit von Müttern, die es „nicht nötig“ hätten, an die letzte Stelle gestellt. Wie stehen Sie dazu?

Pape: Für mich hat schon eine hohe Priorität, dass die Aufnahme von Berufstätigkeit für Eltern möglich ist. Es hat aber auch eine hohe Priorität, dass Kinder, die in einer häuslichen Umgebung aufwachsen, die nicht sehr positiv ist, in einer Kita betreut werden. Dem werden die Bewilligungskriterien, über die noch zu entscheiden ist, Rechnung tragen müssen.

Was sagen Sie zur GAL-Forderung, es solle bei diesen Kriterien keine Hierarchie geben?

Pape: Ich habe mich mit dieser Frage noch nicht bis ins letzte Detail befasst, weil das noch nicht anstand. Für mich zählen die Bedarfe Alleinerziehender und berufstätiger Paare, aber auch soziale Bedarfe. Ich bin aber für die Zukunft nicht so pessimistisch, weil es jetzt schon gelingt, sie zu befriedigen.

In der Iska-Studie wird angenommen, dass der soziale Bedarf künftig zu 80 Prozent über Sechs-Stunden-Plätze abgedeckt wird. Soll dies so kommen?

Pape: Das ist einfach nur eine Prämissensetzung. Endgültig festgelegt wird das im Gesetz.

Die Kita-Reform besteht ja aus vielen Elementen. Ist davon schon irgendwas fertig?

Näther: Es gibt ganz viele Detailprojekte, die schon sehr weit fortgeschritten sind. Aber die sind alle noch Gegenstand der an- und ausstehenden Beratungen.

Mit der Kita-Card sollen die Kos-ten für Hauswirtschaft pauschaliert werden. Ist das beschlossen?

Pape: Das ist beschlossen.

Es gibt dagegen Protest von den Hauswirtschaftlerinnen bei der Städtischen Vereinigung der Kindertagesstätten, die künftig weniger verdienen.

Pape: Wir stellen aber fest, dass die Erbringung sozialer Dienstleis-tungen insgesamt in allen Bereichen unter Konkurrenz geraten ist. Deshalb führt kein Weg daran vorbei. Man muss sagen, dass das Lohn-Niveau bei der Vereinigung sehr hoch ist. Außerdem wird es einen Bestandsschutz geben. Das veränderte Niveau, dass sich an den Kosten anderer Träger orientiert, wird ja erst in Zukunft greifen.

Was sagen Sie zum Einwand, die Kita-Card wäre ein „soziale Kälte verbreitendes System“?

Pape: Bei anderen Trägern jenseits der Vereinigung werden schon längst ganz andere Konditionen geboten. Der Konkurrenzdruck kommt von denen, die in der Vergangenheit weniger gezahlt haben.

Es hat für die Kitas Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe gegeben. Wie schätzen sie die Stimmung dort ein? Haben Sie sich vor Ort kundig gemacht und mit Erzieherinnen gesprochen?

Pape: Ich bin ja Vorsitzende der Mitgliederversammlung der Vereinigung. In dem Zusammenhang lese ich eine ganze Menge von Publikationen. Ich kann verstehen, dass Einsparungen bei den Betroffenen nicht auf große Freude stoßen. Ich sehe aber auch, dass die Vereinigung die Veränderung für eine sehr innovative Diskussion über Qualität genutzt hat. So, wie ich das lese in den Berichten, ist da viel in Bewegung gekommen.

Würden Sie gern nach der Wahl das Ressort Jugend behalten?

Pape: Ich würde insgesamt dies Ressort gern weiter betreuen. Die Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern- und Jugendlichen sind eine große Herausforderung und eine reizvolle Aufgabe.

Interview: Kaija Kutter

Fotos: Jesco Denzel

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