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„Es herrscht ein Innovationszwang“

Aber Innovation kann auch langweilig sein: Der klassische Komponist Thomas Meadowcroft und die Flötistin Kirsten Reese über Möglichkeiten traditioneller Musik, Gefahren des totalen Crossover und Rückbesinnung auf das Notenblatt

Heute werden Kinder mit dem Wunsch, E-Gitarre zu spielen, von ihren Müttern ja schon mitleidig belächelt. Wie antiquiert muss man sich da erst als Instrumentalistin mit klassischer Ausbildung vorkommen oder als ein über Notenpapier brütender Komponist. Kirsten Reese ist Flötistin und Mitglied des Bläsertrios e.VENT; Thomas Meadowcroft arbeitet als freischaffender Komponist. Beide leben in Berlin.

taz: Die zeitgenössische klasische Musik steht zurzeit unter großem Legitimationsdruck. Wie wirkt sich das aus?

Kirsten Reese: Es herrscht eine Art Innovationszwang. Aber viele Sachen, die versuchen, innovativ zu sein, sind einfach langweilig. Die ersten zehn Internetkonzerte, die ich gesehen habe, waren fürchterlich, vielleicht weil es ästhetisch einfach noch nicht weit genug ist. Ein neues Medium macht eben noch kein gutes Stück.

Weil die neue alte Musik als Institution stabil ist, kann sie sich es leisten, durchlässig zu werden. Heute stört es doch niemanden mehr, wenn ein Housebeat im Viervierteltakt lospoltert.

K. R.: Das ist auch eine Frage des Alters. Nur, wenn ich House-Musik hören will, dann gehe ich doch lieber in einen Klub und versuche nicht, das innerhalb eines Neue-Musik-Rahmens zu realisieren. Andererseits ermöglicht schon die Tatsache, dass man sitzt und zuhört, ohne Bier zu trinken, eine ganz eigene ästhetische Erfahrung, und die sollte es auch weiterhin geben. Neulich hatten wir auf einem Festival in Frankreich eine ähnliche Diskussion. Da hieß es: „Ihr seid ja völlig weltfremd, weil in den Klubs inzwischen die superabstrakte Musik los ist.“ Die Leute haben geantwortet: „Ja, wir kennen das auch, und wir mögen das, aber wir schreiben trotzdem diese traditionelle neue Musik.“

Thomas Meadowcroft: Es ist ja auch so, dass Komponisten, die zwischen neuer Musik und Tanzmusik crossovern, oft daran gelegen ist, ihr Publikum zu schockieren. Aber darunter leidet dann oft die Musik. Und Crossover versucht auch die Unterschiede zwischen den Genres aufzuheben, wo doch gerade die Unterschiede gut und wichtig sind.

Hast du eigentlich kein Problem mit der Autorität, die dir als Komponist in der Produktionshierarchie vollkommen fehlt?

K. R.: Die Frage muss vielmehr lauten: „Warum sitzt du immer noch stundenlang an deinem Schreibtisch, um Noten aufs Papier zu bringen?“

T. M.: Weil ich glaube, dass das bald wieder schwer in Mode kommt. (lacht) Etwa um 2010 wird vor allem der Füllfederhalter wieder an Bedeutung gewinnen. Zur Autorität: Nein, ich mag diese Nacktheit, wenn man die Partitur an die Interpreten weitergibt und damit auch die Kontrolle über das Stück verliert.

Es ist auch eine marktähnliche Situation, in der Musiker als Abnehmer fungieren.

K. R.: Klar. Die meisten jungen Komponisten wollen auf jeden Fall gespielt werden. Fast die größte Macht haben heute etablierte Ensembles, die Kompositionsaufträge vergeben können.

Ist das eine Position, die man als Ensemble ausspielt?

K. R.: Wir verfügen als Bläsertrio nur über ein schmales Repertoire. Natürlich möchte man Komponisten fragen, ob sie einem etwas schreiben. Aber da man kein Geld hat, fragt man eben junge Komponisten.

T. M.: Das Bläsertrio ist aber auch darüber hinaus eine ganz reizvolle Besetzung, weil es einem ein Spiel mit Ähnlichkeit und Unterschied ermöglicht.

Trio e.VENT spielt heute um 20 Uhr im Ballhaus Naunystraße. Mit Werken von Walter Zimmermann, Johan Taigren und Stefan Wolpe und der Uraufführung von einem Stück aus Thomas Meadowcrofts „Little Hans“

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