Bewegen, lehren und ergötzen

■ Wolfgang Mielke und die Kantorei St. Ansgarii befreiten das Bach'sche Weihnachtsoratorium von jeder Säuselei

Der Bachforscher Walter Blankenburg warnte schon in einer Publikation von 1982 vor der Abnutzung und Verflachung des so populär gewordenen Weihnachts-Oratoriums von Johann Sebastian Bach. Und in der Tat ist spätestens seit der historischen Aufführungspraxis deutlich geworden, dass Bachs liturgisch gedachtes Werk als besinnliche Kerzenmusik nicht taugt. Im Gegenteil: Wie auch in den Passionen liegt für die sechs Kantaten, die in den Jahren 1734 und 1735 für die Gottesdienste des ersten, zweiten und dritten Weihnachtsfeiertags, der Neujahrstags, des Sonntags nach Neujahr und zum Epiphaniasfest am 6.Januar geschrieben und musiziert wurden, ein geschlossenes theologisches Konzept vor.

Nachgebildet und reflektiert wird der Weg von der Geburt des Kindes Jesus bis zu seinem Sieg im theologischen Sinne. Und dies in den musikalischen Formen der Evangelienerzählung, der betrachtenden Arien (und Duette) und der Choräle: „docere movere et delectare“ (lehren, bewegen und ergötzen) war die Aufgabe der pro-testantischen Kirchenmusik.

In einer Form, wie sie jetzt Wolfgang Mielke mit der Kantorei St. Ansgarii anbot, wird diese Konzeption wieder sinnfällig und entzieht sich beschaulicher Säuselei: Teil I bis III, dann eine halbstündige Pause, dann Teil IV bis VI. Zugegeben: Das ist ein langer Abend – aber ein schöner, ein lehrender, bewegender und ergötzlicher, besonders, wenn das Norddeutsche Barock-Collegium spielt.

Das historisch orientierte Orchester feierte damit auch seine zehnjährige Zusammenarbeit mit der Kantorei St. Ansgarii, innerhalb derer unvergessliche Aufführungen entstanden sind.

An diesem Abend zündete (fast) alles: Vorwärts drängende Tempi, wunderbare Bläserfarben, ein exzellentes Trompetenensemble (Jens Jourdan) sicherten Transparenz und rhetorische Gesten. Der etwas zu große Chor hielt bis auf ganz kleine Hänger gut durch, wirkte vielleicht manchmal eine Idee zu knallig in den Chorälen.

Einen großen Anteil am kraftvollen Niveau der Aufführung hatten die SolistInnen, die zunächst einmal durch ihre Homogenität auffielen, dann aber auch und vor allem durch ihre solistischen Leis-tungen. Ein strahlender Sopran von Susanne Frühhaber, ein erstaunlich volumenreicher Alt von Barbara Ochs und ein samtig-klangschöner Bass von Matthias Horn. Extra erwähnt werden darf der flexible Leipziger Tenor Albrecht Sack, der seine Riesenpartie – Rezitative und schwerste Arien – auswendig sang: Das habe ich bei einem Bach-Sänger noch nie gesehen beziehungsweise gehört.

Ute Schalz-Laurenze