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Gesteuerte Zufälle

Gras und anderes fotografiert und gemalt: William Anastasi in Hamburg  ■ Von Hajo Schiff

Etwas unordentlich sieht sie aus, Beethovens Fünfte Symphonie, wie sie da an der Wand hängt. Und ob es sich bei dem eher graphisch über zwei Nägel arrangierten Audiobandsalat um jenen Klassiker handelt, entzieht sich ohnehin der Überprüfung. Aber dieses erstmals 1965 verwirklichte Kunstobjekt stammt auf jeden Fall von einem Klassiker, auch wenn der 67-jährige New Yorker Künstler William Anastasi hierzulande so gut wie unbekannt ist. Das möchte die erst vor kurzem gegründete art agents gallery in der Altonaer Klopstockplatz mit ihrer Werkschau jetzt ändern.

William Anastasi ist ein Protagonist der Konzeptkunst aus dem Umkreis der amerikanischen Künstler wie Lawrence Weiner, Joseph Kosuth oder John Cage, die sich diesem Genre in der Nachfolge Marcel Duchamps in den sechziger Jahren zuwandten. Ein ganze Reihe von wiederaufgelegten Arbeiten zeigt Grundlagenuntersuchungen, wie Fotos einer Zeichnung, die die Zeichnung abdecken, ein Polaroid von Gras im Gras fotografiert oder ein Tonbandgerät, das seine eigenen Geräusche spielt. Neben solchen Medienbefragungen wurde auch der gesteuerte Zufall zur Kunstproduktion genutzt: Blindzeichnungen und Taschenzeichnungen, Lackschüttung und Putzentfernung forschen nach Zeichen, die wie von selbst entstehen.

Doch um in den Genuss solcher Primärdemonstrationen zu kommen, muss am Eingang der Galerie erst einmal ein großes schwarzes Gemälde passiert werden, auf dem in weißer Schrift „JUDE“ steht. Von solchen im aktuellen politischen Kontext durchaus drastisch zu verstehenden Arbeiten gibt es noch mehrere: „Ich bin ein Jude“ verkünden Glasplatten in fünfzehn Sprachen und eine Neonschrift. Anastasi sieht in der Übernahme dieser (im übrigen für ihn persönlich unzutreffenden) Aussage ein Bekenntnis zur Geschichte aller Menschen und besonders der Christen, deren Heiland ja schließlich Jude gewesen sei. So trägt die in die Wand eingelassene Kopie des Jesus aus dem Abendmahl von Leonardo ebenfalls die Aufschrift „Jew“. Doch mehr noch als ein ethisches Statement setzt Anastasi ein ästhetisches. Zumindest bei den etwa zehn Jahre alten Gemälden geht es generell um die Aussagefähigkeit von Bildern: Buchstaben als Malerei und Farbe als Text. Und kaum etwas ist da von störenderer Sprengkraft, als die drei Buchstaben j, e, und w. Als weiteres, alle Leser denunziatorisch vereinnahmendes Sprachbild findet sich in der Ausstellung eine Metalltafel mit dem Text: „I have a tiny Penis“. Und ein nur schwer zu beschreibendes Doppelblatt, das auch John Cage besaß, zeigt mit minimalem Aufwand den verwirrenden Unterschied von Zeichen und Bezeichnetem: Das gedruckte „A WORD“ ist mit „Wörter“ bezeichnet, daneben „WORDS“ zutreffend aber als ein Wort.

In seinem Kampf für die kunst-historisch richtige Einordnung in die schon bisher strittige Chronologie der Kunstgedanken reklamiert Wiliam Anastasi für viele seiner Arbeiten eine bisher verkannte Vorreiterrolle. Doch die behauptete „Vorwegnahme“ vieler Konzepte, die später heute berühmtere Kollegen realisierten, ist eigentlich eine Argumentation, die besser in magische und strikt teleologische Weltbilder passt und nicht zu den grundsätzlichen Reflexionen gerade der Konzeptkunst.

Auch ist es so stillos wie unüberprüfbar, die amerikanischen Kollegen der Nachahmung zu bezichtigen, schon allein deshalb, weil es – auch außerhalb des Kunstzentrums New York – in Japan und Brasilien, in Frankreich und Deutschland damals eine Unmenge von Arbeiten zur Selbstähnlichkeit und zur Repräsentanz der Dinge und der Medien gab. Doch jenseits dieser schrägen Rechtfertigungshaltung bleibt eine spannende Ausstellung, die an einfache Unterscheidungen erinnert, die bis heute als Grundlage von Kunstproduktion und Kunstrezeption funktionieren.

I Don't want This on My Wall - William Anastasi, Werkschau 1966-2000, art agents gallery, Klopstockplatz 9-11, Di - Fr 11 - 18, Sa 11 - 14, bis 31. Januar 2001

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