Naive Faszination

■ Das Kino 46 erinnert an Agnès Vardas Lebensgefährten Jacques Demy / Lars von Trier hat sich bei ihm für „Dancer in the Dark“ nicht nur die Darstellerin Catherine Deneuve ausgeborgt

Manchmal scheint es, als liege das Gesamtwerk eines Künstlers jahrzehntelang sicher verwahrt in einer Art kollektivem Unterbewusstsein der Filmgeschichte, wo es nur auf den richtigen Moment wartet, sich in seiner ganzen Pracht zu offenbaren. Anfang der 90-er Jahre erfuhr das Frühwerk Jacques Demys zwar noch einmal eine kleine posthume Renaissance durch drei liebevolle filmische Hommages seiner Lebensgefährtin und Bremer Filmpreisträgerin Agnès Varda. Seine eigenen Filme waren indes kaum verfügbar, so dass sie nur Cineasten bekannt wurden.

Der Zeitpunkt könnte gar nicht besser gewählt sein, sich mit dem ×uvre Demys wieder einmal zu beschäftigen. Lars von Triers Neorealismus-Musical „Dancer in the Dark“ legte kürzlich eine feine Spur zurück zu Demys bekanntesten Filmen „Les parapluies de Cherbourg“ (1963) und „Les Demoiselles de Rochefort“ (1966), seinen stilistisch überwältigendsten Musikfilmen. Catherine Deneuve, die in von Triers „Dancer in the Dark“ die schwesterliche Freundin von Björk spielt, hatte in „Les parapluies ...“ ihre erste große Rolle und durfte vier Jahre später an der Seite ihrer Schwester Françoise Dorléac, zusammen mit Gene Kelly und Michel Piccoli, den Himmel in das Provinznest Rochefort herunterholen. Demy und von Trier sind also gewissermaßen Brüder im Geiste. Beide widmen sich dem Musical-Genre zu einem Zeitpunkt, als sich der Zeitgeist längst anderen Themen zugewandt hat. Sie blicken mit naiver Faszination in das Herz der Populärkultur des amerikanischen Films der 40-er/50-er Jahre. Dort war ein „Bewegungskino“ noch ohne nostalgische Verklärung möglich, weil die Körper, die den Rhythmus der Musik und die Dynamik der Kamera vorgaben, als gesellschaftliche Subjekte noch eine klare repräsentative Identität besaßen und sich nicht erst über dekonstruktivistische Identifikationsmuster als eigenverantwortliches Individuum behaupten mussten. Demy beweist (wie auch von Trier mit „Dancer in the Dark“) in seinen Filmen ein kritisches Bewusstsein für die gesellschaftlichen Klassen, an denen die Menschen trotz ihrer übermenschlich großen Liebe immer wieder scheitern müssen. Hierin liegt die Tragik vieler seiner Filme. Obwohl Catherine Deneuve wie auch ihr ehemaliger Geliebter Guy in „Les parapluies ...“ durch Zweckheirat in der gesellschaftlichen Hierarchie eine Stufe aufrücken, werden sie trotzdem immer durch die Klassenschranke getrennt bleiben. Jeder Versuch, sie zu überwinden, endet tödlich. Björks Satz, dass in einem Musical nie etwas Schreckliches geschehe, hat Demy schon in den frühen 60-ern Lügen gestraft.

Den unverkennbaren Blick des Auteurs hat Demy auch in seinen „Unterhaltungsfilmen“ nie verloren. Denn Demy dachte in Farben, Klängen und Formen. Seine Inszenierung von Gegenständen, Kleidung, Architektur und Milieus folgt einem strengen Strukturprinzip: Während im Spielermelodram „Die blonde Sünderin“ (1962) die Kamera noch konzentriert die mechanischen Bewegungen am Roulettetisch und der Chipausgabe einfängt und sie äußerst sachlich am angesichts ihrer Kreditlage übertrieben glamourösen Gebaren von Jeanne Moreau bricht, wird in seinen ausschweifenden „Musicals“ die penible Abstimmung von Farben, Musik und Schauspiel als bombastische audiovisuelle Orchestrierung zelebriert - ohne jemals diese ihm typische Leichtigkeit einzubüßen. Demys Kino ist geschnitzt aus den Träumen eines großen Kindes, voller Anspielungen, Trivialitäten, Naivitäten, Verkitschungen und trügerischer Hoffnungen, stilistisch überhöht als große Kunst. Mit derselben kindlichen Unnachgiebigkeit jagen auch seine Protagonisten hinter ihren Träumen her. Agnès Varda erzählt in ihrer Dokumentation „Die Demoiselles sind 25 Jahre alt“ (1993), dass man nur oft genug sagen müsse, der Sommer solle nie vorüber gehen – dann werde er tatsächlich ewig dauern. Dieser unerschütterliche Optimismus speist auch in den Filmen Jacques Demys eine irreale Hoffnung. Andreas Busche

Die Reihe im Kino 46 dauert bis zum 19. Dezember. Morgen (20.30 Uhr) gibt es Agnès Vardas Film „L'Univers de Jacques Demy“. Weitere Termine stehen morgen in der Kinotaz.