: Im grauen Osten blühte er
Aljoscha Rompe ist tot. Der Sänger der Punkband Feeling B war eine der zentralen Figuren der Wende. Seine Musiker stürmten später als Rammstein die Hitparaden – ohne ihn. Am freiesten war er in der DDR, dann hat ihn der Kapitalismus geschluckt
von THOMAS WINKLER
Er war ein wandelnder Widerspruch. Am freiesten war er ausgerechnet in der DDR. Er blühte im grauen Osten. Er war unmusikalisch, aber er machte Musik, als hinge sein Leben davon ab. Er war ein größenwahnsinniger Realist. Er besaß einen Schweizer Pass, aber der Fernsehturm wirkte im Vergleich zu ihm wie zugereist. Alles, was er tat, tat er mit missionarischem Eifer, aber nichts nahm er wirklich ernst.
Alexander Rompe, genannt Aljoscha, ist tot. Am 23. November fanden ihn Bauarbeiter in seinem Campingbus, vermutlich erstickt während eines Asthmaanfalls. Er wurde 53 Jahre alt.
Es war kein schönes Ende, aber ein angemessenes. Es war der Rock-’n’-Roll-Tod, den sich der mitunter zum Pathos neigende Aljoscha wahrscheinlich gewünscht hätte. Mit seiner Band Feeling B war er eine der zentralen Figuren der Wendezeit, eine hyperaktive Plaudertasche, von Kopf bis Fuß in ranziges Leder verpackt. Aber er war nicht nur ein Protagonist der Wende. Er war wie die Wende: sich ständig überschlagend und atemlos, bunt, aber nicht immer hübsch, vollkommen orientierungslos und jederzeit aufregend, voll jugendlichem Tatendrang und kaum noch Haare auf dem Kopf. Wie die Wende konnte auch ihn mancher nicht leiden, aber jeder musste zugeben: Er war wichtig.
Alle Welt war sich einig, dass Aljoscha nicht singen konnte, aber das war ganz entschieden nicht sein Problem. Er sang. Er sang laut. Gitarrist Paul Landers und Bassist/Casioexperte Flake Lorenz lieferten dazu den hektisch galoppierenden Sound von Feeling B, die allein schon durch ihr Dasein und diesen Rhythmus vielen vormachten, dass alles ging, wenn man sich nur traute. Dass man in der DDR Spaß haben konnte, entschieden mehr Spaß sogar als im Westen. Denn, so die Philosophie, in der DDR war fast alles verboten, und alles, was verboten ist, macht besonders viel Spaß, man muss nur dreist genug sein.
Real existierender Pogo
Ein Teil des Spaßes according to Aljoscha war allerdings auch die so genannte Slamerorgel, eine von Aljoscha höchstpersönlich designte Vorrichtung. Auf der wurden Probanten festgeschnallt und anschließend in Rotation versetzt, während ihnen durch einen Schlauch ein ungesundes Gemisch aus gerade zur Verfügung stehenden Alkoholika eingeflößt wurde. Anschließend sprang Aljoscha auf die Bühne und grölte den Feeling-B-Klassiker „Mix mir einen Drink“. Diese Auftritte fanden überall statt und so lange, bis sie abgebrochen wurden, weil die Pogo tanzenden Massen die real existierende Ordnung mal wieder gestört hatten. Ob an Ostseestränden mit Stern-Rekorder als Gitarrenverstärker, in offiziellen Jugendklubs, bei Privatpartys, unter falschem Namen bei der Lehrlingsfrühlingsfete des VEB Glühbirnen Narva, überall erklang ihr größter Hit, das ironische „Wir woll’n immer artig sein“ mit dem ekstatischen „Hea-Hoa“-Chorus.
Immer für eine Überraschung gut, schockierte Aljoscha noch im Sommer 1999 den Interviewer der Jungen Welt mit der Feststellung: „Wir waren nie Underground.“ Tatsächlich bekamen Feeling B, kaum dass sie gegründet waren, eine hoch offizielle Einstufung als Unterhaltungsmusiker, sogar die Sonderstufe, wie Aljoscha nie müde wurde, fies lächelnd anzumerken. Er hatte mal wieder was organisiert, sich die entsprechend guten Musiker für das Vorspielen vor der Kommission geholt, und wenn man ihn fragte, dann war alles mal wieder nur als „Gag“ gemeint gewesen und sowieso alles „reiner Zufall“. Und weil alles ging, aber nicht jeder sich traute, organisierte Aljoscha eine regelmäßige Auftrittsmöglichkeit für nicht eingestufte Bands und nannte sie zur Tarnung einfach „Öffentliche Probe“.
Der Funktionärssohn
Zumindest teilweise geschützt war Aljoscha durch seine Herkunft. Sein Stiefvater Werner Rompe war ein gewichtiger Apparatschik der Staatssicherheit und Mitglied des Zentralkomitees der SED. Aljoscha aber trieb sich in den 70er-Jahren nach einem abgebrochenen Studium eher in oppositionellen Kirchenkreisen herum und saß drei Monate wegen „staatsfeindlicher Hetze“. Wie viele andere Musiker und Künstler schlug er sich mit Heizer- und Hausmeisterjobs durch. Es war nicht viel Arbeit und gab nicht viel Geld, aber man brauchte den Job, um nicht als asozial eingestuft zu werden und Ärger mit der Volkspolizei zu bekommen. Es ist die nahezu klassische Antikarriere eines Funktionärskindes.
Dass er schon Mitte der 80er ein halber Eidgenosse war, wussten manche seiner besten Freunde nicht. 34 Jahre war er alt, als er erfuhr, dass er einen Schweizer Pass bekommen könnte. Seine Familie hatte ihm diese Möglichkeit verheimlicht. Der Pass gab ihm Sicherheit in den letzten Jahren der DDR und die Möglichkeit, jederzeit nach Westberlin zu reisen. Zeitweise wohnte er in der Dresdener Straße in Kreuzberg. Schon Monate vor der Wende knüpfte er Kontakte zu westdeutschen Plattenfirmen und Medien. So gesehen, war seine Situation privilegiert und rief prompt Neid hervor und Misstrauen. Nie wollten die Gerüchte verstummen, dass er von der Stasi in die Punkszene eingeschleust worden sei. Seine jetzt teilweise öffentliche Akte beweist, dass er die unvermeidlichen Anwerbeversuche abblocken konnte.
Auch wenn er immer wusste, wo er hingehören wollte, zerrissen war er dennoch. Von seinen Altersgenossen, ihrem verbiesterten Dissidententum und dem traditionellen Kunstverständnis war er angeödet, für die Punks aber eigentlich schon zu alt. Jahrelang stand die Frage im Raum, ob er endgültig ausreisen sollte oder sich weiter im Osten nicht ernst genommen fühlen wollte, weil er das Ticket in den Westen in der Tasche hatte.
Die Wende löste dieses Problem, sein Aktionismus aber versiegte nicht. Regelmäßig tauchte er in der Ost-taz auf und später dann in der zusammengelegten Redaktion in Kreuzberg, einen Stapel Infomaterial unterm Arm zu einem halben Dutzend Veranstaltungen und Konzerte. Und weil er schon mal da war und Telefonieren in Ostberlin damals noch ein Abenteuer, blieb er öfter mal ein Stündchen oder länger und telefonierte, kommunizierte, organisierte, agitierte, plauderte, quatschte, bis wir ihn rausschmissen, um wieder arbeiten zu können.
Die Schönhauser 5
Hof hielt er damals in der Schönhauser Allee 5 in Prenzlauer Berg. Ein noch vor der Wende besetztes, dann schnell mit Mietverträgen legalisiertes Haus, in dem sich wie in einem Mikrokosmos der Versuch der Prenzlauer-Berg-Szene im Westen anzukommen abspielte und auch dessen Scheitern. Dank Aljoscha entwickelte sich die Schönhauser zu einem Zentrum der Ostberliner Linken mit Konzerten im Hof, eigenem Piratensender unterm Dach, Kino im Keller und Saufen in improvisierten Kneipen mit dem Charme vergammelter Wohnzimmer. Im Geiste der Spaßguerilla wurden öffentliche Töpfe angezapft, ein Studio eingerichtet und schließlich mit der „Autonomen Aktion Wydocks“ bei Bezirkswahlen die Fünfprozenthürde nur knapp verfehlt. Die Hauptgründe dafür waren der Spaß, das System mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, und vor allem der Spaß, den später die Wahlkampfkostenunterstützung finanzieren half.
Als die Anarchie trotzdem nicht ausbrechen wollte, entdeckte er das Mittelalter. Zum Größenwahn neigend, stampfte er ein viertägiges Mittelalterspektakel bei Steinbrücken aus dem Boden. „Er hat immer seinen Stiefel durchgezogen“, erinnert sich Sascha Tadic, in den letzten Jahren bei der Neuauflage von Feeling B dabei, „das habe ich an ihm bewundert.“
Paul und Flake dagegen, die beiden, die zehn Jahre für die Musik bei Feeling B zuständig waren, hörten irgendwann auf, sich gegen die neue Zeit zu wehren. 1993 starben die originalen Feeling B. Die beiden wurden ganz besonders eifrige Zauberlehrlinge und lieferten als Mitglieder von Rammstein eine beispiellose Karriere ab. Sie bewiesen, dass mancher Ostler die Mechanismen des Medienzeitalters längst schon besser durchschaute als die Brüder und Schwestern aus dem Westen, die sich währenddessen noch nervös fragten, ob das nun noch Ästhetik oder schon Faschismus war. Und die Amis finden es bis heute einfach nur doll deutsch und kaufen wie bekloppt Rammstein-Platten.
Erst später, als längst die Spekulanten sich des Prenzlauer Bergs bemächtigt hatten, der neue Besitzer die Schönhauser 5 entmietet und schließlich auch den allerletzten Mohikaner, einen gewissen Alexander Rompe, mit kriminellen Methoden aus dem Haus befördert hatte, erst dann wurde klar, was Feeling B dereinst so großartig gemacht hatte. Es waren nicht der eine Song, den sie in leicht variierten Geschwindigkeiten und ständig wechselnden Namen immer wieder spielten, es war, weil sie „ein ganz bestimmtes, hyperventilierendes Gefühl der fröhlichen Veränderung und des Aufbruchs“ (tip) destillierten und in Akkorderuptionen steckten, die am besten bei ihren in Schweiß und Berliner Pilsener getränkten Auftritten zur Geltung kamen. Nach der Wende hatte dieses Gefühl plötzlich keine Heimat mehr.
Feeling B war immer weniger Musik gewesen als vor allem Ausfluss des unsteten Charakters von Aljoscha, der alles will, ohne irgendetwas richtig zu können. Aber auch später blieb er rastlos, wirkte manchmal verloren zwischen all den viel zu jungen Menschen, mit denen er sich umgab. Freundeskreise wurden ausgetauscht. In den 70ern waren es die Kirchenbewegten, dann der Punk, und zuletzt flog er immer wieder nach Goa, um die dortige Technoszene und ihre Rauschmittel und Fluchtwege zu studieren. Die Slamerorgel war längst ersetzt durch die Vaporizer Machine, betrieben auf THC-Basis.
Solches Leben zehrte. In den letzten Monaten wurde er immer magerer, AIDS-Gerüchte machten die Runde. Eugen Balanskat, als Sänger der Skeptiker eine ähnlich zentrale Figur der Ostberliner Punkszene, begegnete ihm im vergangenen Sommer: „Er sah aus wie der Leibhaftige.“ Nicht mehr viel übrig war von der „bewundernswerten Energie“, erinnert sich Balanskat. Kurz vor seinem Tod erbte Aljoscha angeblich noch einen Batzen Geld und kaufte sich das Wohnmobil, in dem er später starb.
Das Leben gab auf
Vielleicht war er nur logisch, der Tod. Die Zylinder liefen auf vollen Touren, aber zunehmend ins Leere. An der DDR konnte man sich reiben, der Kapitalismus schluckte einfach. In der DDR waren Aljoscha und andere wie er wichtig, weil sie sich nicht wichtig nahmen, aber gerade das von der DDR zu wichtig genommen wurde. In der neuen Zeit war Feeling B einfach nur noch eine mittelschlechte Punkband, die zu viel Dead Kennedys gehört hatte, deren Texte sich in einigen griffigen Slogans erschöpfte. Dass Aljoscha, wenn er keine Lust hatte, Konzerte schon mal nach drei Songs abbrach und in der gegenüberliegenden Kneipe einen draufmachte, war vor 89 eine Anekdote, nach 89 nur noch unprofessionell.
Der Spaß um jeden Preis, den Feeling B feierten wie kaum eine andere Band, der Spaß, für den Aljoscha fast zwangsläufig mal sterben musste, dieser Spaß hatte keine Zukunft mehr, weil Spaß plötzlich viel zu billig und per Katalog zu haben war.
Ein Auslaufmodell zu sein, hat er nie beklagt, sondern einfach nicht akzeptiert, ja wahrscheinlich nicht einmal wahrgenommen. Das Leben ging nicht an ihm vorbei, das Leben ließ sich treiben von Aljoscha Rompe, immer voran in Höchstgeschwindigkeit, bis es irgendwann einfach nicht mehr weiterkonnte. Dann legte sich das Leben hin, erschöpft, wie es war, und mit ihm Alexander „Aljoscha“ Rompe.
Gedenkkonzert am 19. 12., u.a. mit Freygang, Die Anderen, Bolschewistische Kurkapelle und Feeling-B-Band, 19 Uhr, im Kesselhaus der KulturBrauerei, Berlin-Prenzlauer Berg.Am selben Tag findet um 14 Uhr 30 auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde die Trauerfeier statt. Die Urne wird später auf Hiddensee bestattet.
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