: Do you Voodoo in New Orleans?
Es ist die heimliche Hauptstadt afrikanischer Magie in Amerika. Am Jackson Square trifft man scharenweise selbst ernannte Wahrsager und Kartenleger. Manchmal trifft man dort aber auch echte Voodoo-Lehrer, so wie Queen Margret, die eine Mambo, eine Priesterin, istvon WILFRIED B. URBE
New Orleans. Geschäfts- und Handelszentrum, die Wiege des Jazz, Storyville – das Vergnügungsviertel Amerikas, den legendären Karneval Mardi Gras. Das kennt jeder, doch die Stadt am Mississippi ist auch die heimliche Hauptstadt des Voodoo . . .
Es muss eine helle Mondnacht gewesen sein – milchiges Licht durchbricht das Dunkel, während eine Frau langsam den Fluten des Sees entsteigt. Wie in Trance schreitet sie nackt den von brennenden Kerzen gesäumten Weg ab, um am Großen Altar Halt zu machen. Dann: Schweigen, bevor das Gebet zur großen Mutter anfängt, bevor sie ihren Tanz mit dem Python beginnt. Schließlich ertönen die Kongatrommeln ihrer spärlich bekleideten Gefolgschaft. Immer schneller, immer rasender wird der Rhythmus. Frösche, Schlangen und anderes Getier werden lebendig in dampfende Kochtöpfe geworfen. Die Teilnehmer der Zeremonie beginnen zu tanzen, selbstvergessen, fast rasend, dabei schlachten sie Katzen und Hühner, um das noch warme Blut der Tiere zu trinken. Aber nicht nur das: Die Kultanhänger beißen sich jetzt gegenseitig, trinken das Blut des anderen . . .
So ähnlich muss es sich wohl abgespielt haben, als Marie Laveau, die bekannteste Voodoo-Königin, in der Johannisnacht, vom 23. auf den 24. Juni, am Lake Ponchartrain in der Nähe von New Orleans ihr Ritual durchführte. Über 100 Jahre ist das nun her, aber der Kult hat im Süden der USA nichts an Attraktivität verloren. Im Gegenteil: Auch immer mehr weiße stressgeplagte Mitglieder der Fast-Food-Kultur werden von der geheimnisvollen Religion angezogen.
„Rund ein Drittel der Leute hier in New Orleans glaubt an Voodoo“, sagt Joël Martinez. Der Hispanoamerikaner arbeitet in „Marie Laveaus’s House of Voodoo“ auf der Bourbon Street. Schlendert man die berühmt-berüchtigte Amüsiermeile entlang, wird einem unweigerlich das Geschäft zwischen Clubs, Souvenirläden und den unvermeidlichen top- und bottomless Bars auffallen, denn der Laden ist ein wahrer Publikumsmagnet. Das hebt auch Joël hervor: „Wenn Mardi Gras ist, kommen hier täglich zwischen zweitausend und dreitausend Leute rein, der Laden platzt dann aus allen Nähten.“
Aber das tut er auch so schon: Die zwei kleinen Räume sind angefüllt mit einem merkwürdigen Sammelsurium. Angefangen bei fleischfarbenen, im Dunkeln leuchtenden Jesusfiguren über „Fear no enemy“-Spray bis hin zu fabrikmäßig produzierten Voodoo-Puppen, ist die ganze Palette eines kleinen Horrorladens abgedeckt. Dazwischen: Schreine und Altäre, die nicht fotografiert werden dürfen.
Das zieht natürlich Kundschaft an. „Besonders gut gehen die Mojo Bags“, verrät Joël Martinez. Die kleinen Stoffsäckchen sind mit Reptilien-, Vogel- sowie anderen Tierresten gefüllt und sollen Flüche und andere finstere Machenschaften wirkungslos machen. Alles fauler Zauber oder wirklich Magie? Joël, der aus Puerto Rico kommt, wehrt die Frage mit ernstem Gesicht ab: „Voodoo ist mächtig, man darf seine Kraft nicht unterschätzen.“ Dann berichtet er von dem Hahnenblut, das an das Haus seiner Familie geschmiert worden sei, und wie sofort ein Hungan, ein Priester des Voodoo, gerufen wurde, um den Fluch zu entkräften.
Der Handel mit Devotionalien oder Kräutern blüht. Marie Laveau’s House of Voodoo beispielsweise wird mit zwei weiteren Ablegern im French Quarter der Stadt fast schon zur Ladenkette. Eine weitere Attraktion: Orgien und Zeremonien, die eigens für Touristen nachgestellt werden. Oder der Jackson Square: ein Platz, den scharenweise selbst ernannte Wahrsager und Kartenleger bevölkern. Aber nicht nur: Manchmal trifft man dort auch echte Voodoo-Lehrer, so wie Queen Margret, die eine Mambo, eine Priesterin, ist.
Was macht das Wesen von Voodoo heute eigentlich aus? Die alte Dame schmunzelt: „Wir meditieren und predigen, um mit Gott in Kontakt zu kommen. Die geistige Kraft, die wir dabei nutzen, ist „Loa“, sie identifiziert das Physische, damit erkennen wir die Welt.“ Eine Kirche für Voodoo-Anhänger gibt es nicht, aber Tempel und andere Plätze, an denen Gläubige zusammenkommen. Warum ist Voodoo in New Orleans so stark? Die Voodoo Queen lächelt wieder: „Voodoo ist nicht nur in New Orleans stark, sondern überall, auf der ganzen Welt.“ Aber was ist mit den von Nadeln durchbohrten Puppen, der schwarzen Magie, den Zombies und Geistern, kurz: all den Vorstellungen eben, die ein Europäer von Voodoo im Kopf hat? „Voodoo kann konstruktiv und destruktiv genutzt werden. Ich gebrauche Voodoo, um zu leben, um der zu sein, der ich bin. Alle Individuen müssen nach ihrem Selbstverständnis handeln.“ Langsam und überlegt wählt Queen Margret die Worte, um die Quintessenz ihres Glaubens zu beschreiben. „Sich selbst zu finden und zu leben, darum geht es, denn Leben ist die größte Magie.“ Sie erklärt weiter: „Während unserer Treffen und Gebete sollst du erkennen, wer du wirklich bist. Voodoo hilft dir dabei, das hervorzuholen, was sowieso schon immer in dir war, was du schon immer gewusst hast.“
Queen Margret sagt, sie sei durch eine Menge von Erfahrungen gegangen, was sie schließlich zur Mambo qualifiziert habe. Zurzeit hat sie einen Schüler: Marvin, den sie zum Priester ausbilden wird. Gemeinsam meditieren sie über die Einheit mit Gott: „Die erreicht man in den instinktiven Momenten, wenn sich das Ich auflöst.“ Der Zustand eines Zombie zum Beispiel sei eine spezielle Form dieser Auflösung, die höchste Stufe der Einheit mit Gott der Tod. Die Wurzeln dieses Glaubens liegen in Westafrika: Im Königreich Dahomey verehrten die Bewohner einen gigantischen Python als Hauptgott Zombie.
Im 16. Jahrhundert verschleppten weiße Sklavenjäger Eingeborene zu Zehntausenden in die Karibik. Ab 1717 gelangten die ersten Skalven nach Louisiana und damit der Voodoo-Glaube. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts schließlich sind in New Orleans Katholizismus, Marienverehrung, Spiritismus, schwarze Magie, Exorzismus und Hexerei zu einer fest etablierten Mischung geworden. Berichte in Sensationszeitungen über orgiastische Riten sorgen aber ab 1817 für Verbote des Voodoo-Kults. Dann, ab 1850, kommt Voodoo in der High Society von New Orleans in Mode. Und genau in dieser Zeit wird Marie Laveau zum Star.
„Die schönste Frau der Stadt“, so heißt es, kam 1794 als uneheliche Tochter eines Pflanzers und einer Mulattin zur Welt. Das Voodoo-Handwerk erlernt sie als junges Mädchen bei Dr. John, einem freigelassenen Sklaven, der bei den Kreolen gefürchtet und angesehen war. Der „Sengalesische Prinz“, wie er sich selbst bezeichnete, war im Gesicht tätowiert, unterhielt einen Harem, eine Schlangenfarm sowie einen Spionagering, mit dessen Hilfe er auch Ruhm als „Wahrsager“ und „Hellseher“ erwerben konnte. 1830 avanciert Marie zur Voodoo Queen von New Orleans. Wilde Gerüchte kursieren über sie und ihr Cottage in der St. Ann Street: Mumifizierte Babies, Skelette und einen sechs Meter langen Python soll es unter anderem dort gegeben haben. Marie Laveau jedenfalls verstand es, sich mit eine geheimnisvollen Aura zu umgeben, die sich auch in baren Dollars auszahlte. Für ihre Zeremonien am Lake Ponchartrain erhob sie Eintritt. Zusätzlich beschäftigte sie Spitzel, die ihr besonders genaue Vorhersagen ermöglichten. Ein Netzwerk von Beziehungen zu wichtigen Polizisten und Politikern der Stadt sicherte ihre Stellung als einflussreiche Voodoo Queen. Geachtet und wohlhabend stirbt sie 1881. Bis heute ist ihr Grab auf dem legendären Friedhof St. Louis Cemetery No. 1 Pilgerstätte für Glücksuchende aller Art.
Drei Kreuze soll man in das Grabmal einritzen, damit Wünsche in Erfüllung gehen. Mittlerweile bittet die Friedshofverwaltung Besucher, davon Abstand zu nehmen. Ohne Erfolg, was niemand verwundert: Erst vor kurzem konnte ein Marie-Laveau-Pilger 2 Millionen Dollar als Lottogewinn in Empfang nehmen. Seine Erklärung: „Kurz vorher hatte ich am Grab drei Kreuze aufgemalt.“ Die Städte der Toten, wie die Friedhöfe auch genannt werden, bevölkern aber nicht nur potenzielle Lottogewinner. „Gewähre uns Kraft durch den wunderbaren Aufstieg deines Körpers und bringe uns Macht, Wissen und Stärke aus der himmlischen Sphäre“, betet Mambo Miriam auf dem St. Louis Cemetery No. 1, während Hungan Elmar, im normalen Leben Karatelehrer, Zeichen auf den Weg malt und die Opfergaben für Baron Sandi, einen verstorbenen Voodoo-Meister, vorbereitet: „Rum und gute Zigarren, das wird ihn besänftigen.“
300 Millionen Menschen glauben heute an Voodoo, und die Religion hat mittlerweile sogar in die Medizin, besonders in die Psychiatrie, Eingang gefunden. An der University of Mississippi Medical School beispielsweise werden zur Behandlung paranoider Schizophrener Voodoo-Doktoren eingesetzt. Auch in unseren Breitengraden wird Voodoo allmählich hoffähig, wenn auch nicht ganz ernst gemeint. Denn über Ratgeber wie beispielsweise „Voodoo fürs Büro“ kann der postmoderne Leistungsmensch nur lächeln.
Voodoo in New OrleansMarie Laveau’s House of Voodoo (739 Bourbon Street, New Orleans): In dem Shop gibt es Souvenirs der anderen Art. Voodoo-Museum (724 Dumaine Street, New Orleans): In drei düsteren Räumen sind Schreine und anderes Voodoo-Zubehör ausgestellt. Vorn im Geschäft gibt es Bücher und Broschüren.Voodoo Spiritual Temple (828 North Rampart Street, New Orleans): Queen Miriam ist stets bereit, auch für Touristen, Zeremonien abzuhalten.Voodoo-Bar (521 Decatour Street): Gar nicht unheimlich, dafür aber relaxt und gemütlich, genau das Richtige nach einem langen Streifzug durchs French Quarter.St. Louis Cemetery No. 1 (Basin Street, New Orleans): Schlammige Böden, häufige Überschwemmungen – deswegen gibt es in New Orleans überirdische Bestattungen. Faszinierend sind die Friedhöfe und Grabmäler. Im St. Louis Cemetery No. 1 wurden Sequenzen des Kultfilms Easy Rider gedreht. Das Grab von Marie Laveau findet man direkt hinter dem Haupteingang erster größerer Seitengang links).Übrigens: Organisierte Touren, die Voodoo, Friedhöfe, Geister, Zombies und Vampire näher bringen wollen, können über fast alle Hotels gebucht werden.
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