: Kopf im Sand, Wasser bis zum Hals
■ Seit zwanzig Jahren werden Bremer (Ex-)Knackis in puncto Schulden beraten / Der „Reso-Fond“ soll aufgestockt werden
Wenn einer, der 370.248 Mark Schulden hat, am Ende mit einer Ausfallbürgschaft von 11.500 Mark schuldenfrei dasteht, dann hat entweder der liebe Gott seine Hand im Spiel, oder es gibt ein ganz besonders ausgebufftes Finanzierungsmodell.
Letzteres ist der Fall: Die „Bremische Straffälligenbetreuung“ unterstützt mit Darlehen aus dem so genannten Resozialisierungsfonds aussichtslos verschuldete, straffällig gewordene Leute und verhandelt vorher mit deren Gläubigern um Schuldenerlass. „Denen ist nämlich der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach“, sagt die Schuldnerberaterin Bettina Harsleben.
Im obigen Fall hätten die Gläubiger ohne den Reso-Fonds vermutlich nie auch nur einen Pfennig wiedergesehen. Jetzt aber haben sie wenigstens einen Teil ihrer Außenstände zurück und der Klient zahlt freiwillig und in Raten sein Fonds-Darlehen ab. „Dagegen ist die Motivation, eine Arbeit anzunehmen nicht gerade groß, wenn man nur für die Gläubiger arbeitet“, meint Harsleben. Die Pfändungsgrenze liegt mit 1.219 Mark noch unterm Sozialhilfesatz, und „wenn das Gehalt gepfändet wird, hat man den Job nicht mehr lange.“
Um den Verschuldeten dennoch die Möglichkeit zu geben, ins „normale“ Leben zurückzukehren, wurde der Resozialisierungsfonds 1985 gegründet. Sieben freie Träger und auch der Senator für Justiz zahlten damals ein. Bettina Harsleben, die den Fonds bis heute verwaltet, legte das Geld gewinnbringend an, so dass heute aus den ursprünglich 307.000 Mark 590.000 geworden sind. Das Problem: Durch die knapp neunzig Ausfallbürgschaften, die seitdem gewährt wurden, ist das Geld zwar nicht weg, aber fast restlos festgelegt. Dabei ist der Bedarf an dieser, wie Harsleben betont, „letzten Möglichkeit, die Schulden zu regulieren“ nicht kleiner geworden. Seit die Gläubiger ihre Forderungen immer häufiger an Inkasso-Unternehmen, also professionelle Eintreiber abgeben, werden Schuldner hartnäckig und „mit zweifelhaftem Methodenkatalog“ verfolgt.
Die Insolvenzordnung sieht zwar seit Beginn dieses Jahres auch private Konkursverfahren vor. Forderungen, die „aus unerlaubten Handlungen“ resultieren und bei der Straffälligenbetreuung naturgemäß recht oft vorkommen, sind davon aber ausgenommen. Die Hürden für ein solches Verfahren sind außerdem hoch: Der Schuldner muss zunächst einen Kostenvorschuss von ein bis 4.000 Mark erbringen – zu viel für die meisten Klienten der Straffälligenbetreuung.
Mit der Sozialsenatorin wird derzeit um den Fonds verhandelt und die Chancen stehen gut. „Entweder stocken wir den Fonds auf oder gewähren eine Ausfallbürgschaft“, verspricht Jörg Henschen, Sprecher der Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD), der dem Verein „gute Arbeit“ attestiert. Auch die Justiz, mit der laut Geschäftsführerin Elke Bahl das Verhältnis „traditionell gut“ sei, denkt über eine erneute Beteiligung nach.
Also der seltene Fall von eitel Sonnenschein zwischen einem freien Träger und den Behörden? Nicht ganz. „Die Situation für unser Klientel hat sich in den 20 Jahren, die die Schuldenregulierungsstelle jetzt existiert, verschlechtert“, bilanziert Elke Bahl. Seit Anfang dieses Jahres eine Stelle gestrichen wurde, vor allem aber, seit ein Teil der Mitarbeiter „fallweise“ bezahlt wird, haben sich die Wartezeiten verlängert. Bis zu sechs Monaten dauert es, bis ein Termin frei ist. „Dabei stecken die meisten den Kopf so lange in den Sand, bis es nicht mehr geht. Die kommen erst, wenn ihnen das Wasser bis zum Halse steht.“ hey
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