: Weihnachten ist Marxismus
■ Weihnachten ist zwar weih, aber eben auch Nacht, dunkel, kalt, eklig. Daran erinnerte das geniale Kabarett DaDa glühweinend
Was ist Weihnachten? Die Antwort steht in jeder Bibel: die Nacht, in der ein ehrbarer Esel und ein gutmütiger Ochse zwei übelriechende, schlechtgekleidete Menschen bei sich übernachten ließen, wobei sich einer dieser Menschen aus nicht näher erläuterten Gründen in zwei Menschen aufspaltete. Doch gar so einfach ist die Sache nicht. Als bewährte Forscher des Hintersinns der Worte und der Vorhaut des Unterbewussten weiß das Waller Dada-Trio (das diesmal übrigens aus sechs PersonInnen bestand), dass die heilige, himmlische Weihnachtszeit erstmal Au-Weiha-Nacht ist und dann auch noch voller Himmler und Heil. Und außerdem trägt der Weihnachtsmann einen Bart, der rot ist wie Marx, woraus sich mit messerscharfer Logik ergibt (zumindest, wenn man die richtigen Messer wetzt), dass Christus Marxist ist und – noch schlimmer! – der Weihnachtsmann Milkakühe auffrisst. Grund genug, feste das Fest zu durchleuchten.
Und so schwängerte wie jedes Jahr Glühweinduft die GaDeWe und zeugte in gebotener Jungfräulichkeit Plätzchen und Friedhofskerzen auf den Tischen. Eingeladen war auch das Literarische Quartett, um die Bibel einer literaturwissenschaftlichen Qualitätskontrolle zu unterziehen. Dabei kam heraus, dass die Bibel zwar vermutlich BSE-frei ist, aber die Glaubwürdigkeitskriterien für modernes Romanschaffen nicht erfüllt. Stattdessen aber könnte sie Anregungen für die heutige Migrationsproblematik geben – denn bei der Heiligen Familie handelt es sich beileibe nicht um die einzigen Asylsuchenden der Heiligen Schrift.
Außerdem wurde das weihnachtliche Liedgut aufgemöbelt, wobei einige unbeschwerte Gesänge (zum Beispiel „Lasst uns froh und munter sein“) melancholische Zwischentöne entfalteten, die das Zeug haben, den Zuhörer in den Selbstmord zu treiben. Dann wurden im Lauf des Abends 39.682 sexistische Anspielungen getätigt, die kulminierten in der Geschichte eines kinderschänderischen Nikolaus'. Deutlich subtiler hingegen operierte eine schwermütige Erzählung über einen hölzernen Türrahmen und an Weihnachten frei gesetzte Triebeskapaden.
Mit anderen Worten: Es war ein ganz gewöhnlicher normal-perverser GaDeWe-Rezitationsabend, bei dem man diverse Male Lust zur Vergabe mehrerer Literatur-, Friedens- und nicht zu vergessen Kriegs-Nobelpreise verspürte, so intelligent und gemein waren die Texte gestrickt. Bei anderen Texten wiederum war auch bei mehrstündigem Nachdenken nicht herauszufinden, wo sich der Witz versteckt hat. Und gerade mit dieser Mischung aus einzigartigem Genie und Misslingen toppt das sechsköpfige Trio sämtliche TV-Unterhaltungs-Gepflogenheiten. Allein für die Tatsache, dass da Menschen monatelang an Texten feilen, sägen und hämmern, und das übrigens ganze sechsmal jedes Jahr, um sie in spärliche 30 bis 50 Köpfe einzuschleusen, erfüllt den Tatbestand von fördernswerter Ineffizienz, hemmungsloser Selbstaufopferung und weihnachtlicher Nächstenliebe. Und das machen die jetzt schon seit vielen Jahren, einfach erstaunlich. bk
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