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Powell: Ein Held für alle Fälle

aus Washington PETER TAUTFEST

Er war einer der schärfsten Kritiker des US-Abenteuers in Vietnam, und er war gegen die Bewaffnung der Mudschaheddin in Afghanistan. Er hielt Reagans Engagement im Libanon für ein Desaster und war eigentlich auch gegen den Golfkrieg, der ihn zum Volkshelden machte. Mit Bill Clinton geriet er über die Frage des Einsatzes von US-Truppen auf dem Balkan aneinander. Die Idee der „humanitären Intervention“ ist ihm fremd: Colin Powell ist nach Alexander Haig – den Ronald Reagan 1981 zu seinem Außenminister machte – der zweite General, der das Amt übernimmt. Und er wird der erste Schwarze auf diesem Posten sein.

Dass George W. Bush Colin Powell eine solch herausragende Position in seiner Regierung geben würde, war das schlechtestgehütete Geheimnis des Wahlkampfes. Zusammen mit der Afroamerikanerin Condoleezza Rice, die Bushs Sicherheitsberaterin werden soll (s. Kurzporträt), sollte der Exmilitär Bushs Außenpolitik Statur und einen multikulturellen Anstrich geben. Viel genützt hat das im Wahlkampf wenig. Noch nie hat ein republikanischer Kandidat weniger schwarze Stimmen bekommen als George W. Bush.

Powell wechselt nicht geradewegs vom Militär ins Regierungsgeschäft. Von seiner 35-jährigen Dienstzeit als Soldat, die er 1993 beendete, verbrachte er fast 10 Jahre in verschiedenen Funktionen in Washington. 1972, zur Regierungszeit Richard Nixons, machte er ein Praktikum im Weißen Haus. Er war Assistent zweier Verteidigungsminister und ab 1987 Reagans nationaler Sicherheitsberater. Schließlich war er Generalstabschef unter George Bush senior und Bill Clinton.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Militär schrieb Powell ein dickes Buch, das Mitte der Achtzigerjahre monatelang auf der Bestsellerliste stand: „My American Journey“, eine klassische amerikanische Erfolgsgeschichte vom Aufstieg aus der Bronx zu den Höhen des Pentagon, vom Street Kid zum höchsten General, von einem, der Böden aufwischt, zu jemandem, der durch die Korridore der Macht wandelt. „Ich will, dass meine Laufbahn jedem Kind und vor allem jedem schwarzen Kind Beispiel ist“, sagte Powell während der Feier in einer texanischen Schule, auf der Bush ihn offiziell ernannte.

Geboren wurde Colin Powell 1937 in der Bronx, als Sohn jamaikanischer Einwanderer. Die sozialen Kontakte seiner Familie waren in Powells Kindheit von dem Völkergemisch dieses Teils von New York bestimmt. Als junger Mann wischte er Böden und war Verkäufer in einem jüdischen Kaufhaus, wo er einige Brocken Jiddisch aufschnappte. Am City College of New York studierte er Geologie, hatte sich aber schon als Jugendlicher in erster Linie für das Militär interessiert.

Im Zuge seiner Laufbahn kam er auch in den Süden der USA und erfuhr dort den Rassismus am eigenen Leibe. Nach seiner Pensionierung 1993 gründete Powell „America's Promise“, eine Organisation, die sich für Ghettokinder einsetzt und der er bis heute vorsteht. Er versprach, auch weiterhin für sie zu wirken.

In der Republikanischen Partei ist Powell eine einsame Stimme gegen die Rücknahme einer aktiven Gleichstellungspolitik. Mit dem republikanischen Establishment dürfte er auch in der Frage des atomaren Teststoppabkommens kollidieren, für dessen Unterzeichnung er eigentlich ist. Colin Powell unterstützt die Pläne der Republikaner zur Schaffung einer Raketenabwehr, in seinen Memoiren aber schildert er Caspar Weinbergers Verliebtheit in Reagans „Star Wars“ als eine Art Besessenheit und schildert den Exverteidigungsminister als einen Mann, der den Wandel von der Zeit des Kalten Krieges zu einer neuen Ära nicht begriffen hat. Bleibt abzuwarten, ob Powell selbst diesen Wandel und seinen eigenen von einem Soldaten zu einem Außenpolitiker richtig begreift.

Soldaten spielen in den USA auf der politischen Bühne nicht sehr oft eine prominente Rolle. Eine Ausnahme war da Dwight Eisenhower, Oberbefehlshaber der alliierten Truppen im Zweiten Weltkrieg. Von Eisenhower schreibt Powell in seinen Memoiren: „Er war ein Held ohne Säbelrasseln. Er trieb die Nation nicht in jedes Krisengebiet der Welt. Er war ein Mann, der den Wert des Gebrauchs militärischer Macht so gut verstand wie den der Zurückhaltung bei ihrer Anwendung. Er hatte die Statur und den Charakter, um sich für den jeweils geeigneten Umgang damit zu entscheiden.“ Das könnte Powells Motto sein. Und damit erschöpft sich auch schon seine politische Vision der Rolle Amerikas im 21. Jahrhundert.

Als junger Soldat war er 1963 als „Berater“ einer Patrouille der südvietnamesischen Armee zugeteilt. Mit ihr streifte er eines Tages durch den Dschungel. Seine Leute wurden beschossen, Powell selbst wurde verwundet. Verletzte und Tote wurden mit US-Hubschraubern ausgeflogen. Das war's, worin amerikanische Beratertätigkeit bestand. Wenn eine Einheit eine Woche lang nicht angegriffen wurde, galt deren Vorposten als gesichert und die Region als befriedet.

Powell durchschaute früh die Verlogenheit der US-Militärpropaganda, deren Opfer nicht nur die vietnamesische Bevölkerung, sondern auch die US-Politik wurde. Sein Mentor und Reagans Verteidigungsminister, Caspar Weinberger, formulierte 1984 das konservative Credo US-amerikanischer Militärpolitik: „1) Truppen sollten nur ins Spiel gebracht werden, wenn unsere nationalen Interessen oder die unserer Verbündeten berührt sind; 2) wenn schon Truppeneinsatz, dann richtig und zwar mit klaren militärischen Zielen und einer sog ‚Exit Strategie‘; 3) man soll nur militärische Verpflichtungen eingehen, für die sich die Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung gewinnen lässt; 4) Militärmacht sollte nur als Ultima Ratio eingesetzt werden.“

Das könnte auch Colin Powells Credo sein. Entsprechend hatte er größte Zweifel daran, ob es richtig wäre, für einen niedrigen Benzinpreis US-Soldaten am Golf im Kampf gegen den Irak sterben zu lassen. Als Präsident Bush ihm aber befahl, eine Offensive gegen den Irak vorzubereiten und eine Streitmacht am Golf zusammenzuziehen, verlegte Powell eine halbe Million Soldaten nach Saudi-Arabien, eine Militärmacht, die eine Eigendynamik gewinnen sollte. Somit wurde Powell zum Kriegshelden wider Willen.

Kritiker Powells im linken wie im rechten Lager nehmen Anstoß an seiner vom Vietnamerlebnis geprägten Militärdoktrin. Die Lage hat sich geändert. „Einen ‚Desert Storm‘ wie gegen Irak wird es so bald nicht wieder geben“, sagte Dennis Jett, ehemaliger US-Botschafter in Mosambik und Peru in der Washington Post. Heute sieht sich Amerikas Außen- und Sicherheitspolitik mit Situationen wie denen auf dem Balkan und in Sierra Leone, in Ruanda und im nahen Osten konfrontiert. „Der Grundsatz, dass militärische Gewalt nur allerletztes Mittel der Politik sein darf, sollte überdacht werden“, sagt Richard Haas, ehemaliger Sicherheitsberater von Bush senior, der auch in der Regierung des Juniors eine Rolle spielen dürfte. „Wäre gegen Milošević früher militärisch vorgegangen worden, hätten wir das Desaster im Kosovo nicht gehabt.“

Die Herausforderungen sind mannigfach. Er wird seinen Chef nicht überstrahlen dürfen und wird sich in der Außen- und Sicherheitspolitik mit den Verbündeten arrangieren müssen. Die Europäer stehen der von Condoleezza Rice verkündeten neuen Arbeitsteilung misstrauisch gegenüber, nach der die Europäer den Frieden sichern, während Amerikaner Krieg führen sollen.

Powell wird vor allem seine militärische Sicht auf die Welt durch eine politische ersetzen müssen. Eines aber kann er, und das hat er schon als Sicherheitsberater Reagans bewiesen: Den Washingtoner Gipfel zwischen Reagan und Gorbatschow beschreibt er – übereinstimmend mit anderen Memoirenschreibern und Zeitzeugen – als ein Beinahe-Desaster. Reagan war schlecht vorbereitet und verstand die Verhandlungsmaterie viel weniger als sein Gegenüber Gorbatschow. Powell gelang es, für seinen Chef ein Skript auszuarbeiten, mit dem Reagan den Gipfel leidlich bestand, ohne sich vor Gorbatschow übermäßig zu blamieren. Powell kann also mit Leuten arbeiten, die nicht recht verstehen, wovon sie reden: ein idealer Außenminister also für George W. Bush.

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