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Die Basis und die Buchhalter

Auslaufmodell Bruno-Tesch-Gesamtschule in Altona: Es fehlen mehr als ein paar Schüler. Nicht nur deswegen soll sie dicht gemacht werden. Von Zahlen und uralten Geschichten  ■ Von Sandra Wilsdorf

Die Geschichte von der Schließung der Bruno-Tesch-Gesamtschule in Altona ist auch die Geschichte eines stigmatisierten Stadtteils. Von Politikern, die sich schief oder gar nicht erinnern. Von Eltern, die für ihre Kinder wollen, was sie für etwas Besseres halten. Von einem Konflikt zwischen Senatorenkollegen und von Behörden-Buchhaltung.

Weil die Schule in der Billrothstraße zum zweiten Mal in Folge nicht genügend Anmeldungen drei Klassen bekommen hat, soll sie geschlossen werden (taz berichtete). Die SchülerInnen dürfen noch bis zum Ende der zehnten Klasse bleiben, aber auf dem Anmeldeverzeichnis für das nächste Schuljahr ist sie schon nicht mehr verzeichnet.

Die Schulbehörde beruft sich auf das Schulgesetz: „Wird die Mindestzügigkeit in den Eingangsklassen in zwei aufeinanderfolgenden Schuljahren nicht erreicht, so werden an der betreffenden Schule im darauffolgenden Jahr keine Eingangsklassen mehr eingerichtet“, steht da. 58 Anmeldungen hatte die Bruno-Tesch-Gesamtschule (BTG) im vergangenen Jahr, 78 wären das Ziel gewesen. „Die Eltern haben mit den Füßen abgestimmt“, sagt Frauke Scheunemann, Sprecherin der Schulbehörde. Etwa 50 Prozent der Eltern, die im Einzugsbereich der BTG wohnen, hätten ihre Kinder an einer anderen Gesamtschule angemeldet.

Eine Tatsache, die Schulleiterin Dorothea Eichhorn sich so erklärt: „Es ist eine Stigmatisierung des Stadtteils, nicht der Schule.“ Die Nähe zum Kiez würden viele mit der Nähe zu Drogen und Gewalt assoziieren. „Damit haben wir nicht mehr Probleme als andere Schulen auch.“ Trotzdem würden viele Eltern ihre Kinder nach der Grundschule lieber in eine andere, vermeintlich bessere Gegend schicken.

Ähnlich wie Eichhorn sieht das auch Rolf-Dieter Uetzmann von der Stadtentwicklungsgesellschaft und Stadtsanierungs-Experte für Altona: „Es ist eine Katastrophe, wenn die Schule schließt.“ Er erinnert daran, dass die Schulesenatorin auch Jugendsenatorin sei. Über die BTG sagt er: „Sie hat einen schlechten Ruf, den sie nicht verdient hat.“ Da gehe es ihr nicht anders als dem Stadtteil, aber „man kann der Schule nicht anlasten, was der Stadtteil für Probleme hat“. Uetzmann fordert, die Schule zweizügig weiterzuführen, „das könnte man ja noch einmal überdenken, wenn wir mit dem Thema der Stigmatisierung eines Stadtteils weiter gekommen sind“.

Damit liegt er mit seinem Chef auf einer Linie: Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (GAL) hat seiner Senatskollegin Ute Pape (SPD) einen Brief geschrieben, darin steht, „dass wir die Schließung nicht gutfinden, weil das Gebiet zur sozialen Stadtentwicklung gehört und sich die Schule dabei engagiert hat, insbesondere für Gewaltprävention“, sagt Sprecherin Ina Klotzhuber. Die Schule spiele eine wichtige Rolle, „weil wir nur so an die Kids rankommen“. Die Schule zu schließen, sei „ein Rückschlag fürs Quartier“.

Es hätte eine Alternative gegeben. Das Schulgesetz sieht nämlich die Möglichkeit vor, eine Schule unterzügig weiterzuführen, „wenn dies zur Sicherung der regionalen Versorgung, mit den genannten Schulformen unter Beachtung altersangemessener Schulwege und der Erreichbarkeit der Schulstandorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln geboten ist“.

Es gibt in Hamburg durchaus zweizügige Gesamtschulen: Die Albert-Schweitzer-Gesamtschule, die besonders Fremdsprachen und musische Fähigkeiten pflegt und „deren Angebot auf eine Zweizügigkeit konzipiert ist“, erklärt Gert Rauschning, beim Amt für Schule Leiter der Schulaufsicht Gesamtschulen. Auch die Gesamtschule Winterhude braucht nicht mehr als zwei fünfte Klassen, sie wurde Mitte der 80er Jahre für unverzichtbar erklärt, „damals gab es dort allerdings ein viel dünneres Netz von Gesamtschulen als heute in Altona“, sagt Rauschning. In der Nähe liegen die Rudolf Roß-Gesamtschule in der Neustadt, die Max-Brauer-Gesamtschule in Ottensen und die Gesamtschule Bahrenfeld.

Für Rechtsanwalt Rainer Utikal geht es jedoch nicht nur theoretisch erreichbare Alternativen: Er geht in seinem Rechtsgutachten auf die Besonderheit von Altona-Altstadt ein und kommt zu dem Schluss, dass die Schulbehörde rechtswidrig handelt, wenn sie keine Sondergenehmigung erlässt, die die Schule zweizügig weiterlaufen lässt. Denn die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Schulformen seien unzulässig eingeschränkt. Dabei berücksichtigt er Altonaer Stadtteilflucht und Lokalpatriotismus.

Dass letzterer besonders ausgeprägt ist, hat nämlich eine Studie zum „Freizeitverhalten von Jugendlichen in Altona-Altstadt“ nachgewiesen, die das Soziologische Institut der Universität Hamburg 1999 gemeinsam mit dem Jugendamt Altona-Altstadt durchgeführt hat. Danach verlassen Jugendliche ihr Revier in der Freizeit nur selten. Es darf bezweifelt werden, ob sie es für den Schulbesuch tun würden.

Besondere Probleme sieht Stadtentwicklungsexperte Uetzmann für die Mädchen: „Viele Migrantenfamilien suchen die Schule nicht nach Bildungschancen, sondern nach Nähe aus.“ Mädchen dürften das unmittelbare Umfeld häufig nicht verlassen. „Im Zweifel schickt man sie eben zur Haupt- und Realschule nebenan. Die Chance einer Höherqualifizierung entfällt.“

Im Stadtteil kämpft ein breites Bündnis für den Erhalt der Schule: In der Initiative „Eine integrierte Gesamtschule für Altona-Alstadt“ arbeiten Vertreter von Stadtteilinitiativen, Schulen, Altonaer Einrichtungen und Bewohner. „Die Schule wird vom Stadtteil getragen“, sagt Susanne Gondermann, Sprecherin der Initiative. Zusätzlich hat sich ein Kommittee aus Wissenschaftlern, Bildungs- und Stadtentwicklungsexperten gebildet. Allein auf der Altonale kamen 2500 Unterschriften gegen die Schul-Schließung zusammen. Zur Zeit soll eine Fragebogen-Aktion im Stadtteil ergeben, wieviele Eltern ihre Kinder auf die Bruno-Tesch-Schule schicken würden, wenn das noch ginge.

Selbst Altonaer Geschäftsleute kämpfen mit. Karstadt Altona und der Verband der Einzelhandelskaufleute im Einkaufszentrum Altona haben Schulsenatorin Pape geschrieben: „Wir befürchten, dass es mit der beabsichtigten Schließung der Schule zu anwachsenden Problemen mit Jugendlichen im Stadtteil kommen wird, die sich auch und gerade auf unserern Standort auswirken.“

Die Altonaer Bezirkspolitiker hingegen fahren Schulbehördenkurs: Die Bezirksversammlung hat in der Frage der Schließung zwar nichts zu entscheiden, hat sie aber trotzdem diskutiert. Nur die Regenbogen-Gruppe ist gegen das Auslaufen der Bruno-Tesch-Schule. Die anderen wollen zwar den Schulstandort, nicht aber die Schule behalten: SPD und GAL haben deshalb die Behörde beauftragt, „dass zügig geprüft wird, durch welches schulische Angebot, eine erforderliche Nachfrage vorausgesetzt, der Schulstandort dauerhaft gesichert werden kann. Außerdem sollen die Nachmittagsangebote, die momentan Lehrer und Eltern der Schule anbieten, „ungeschmälert erhalten bleiben“. Darüber empört sich Brigitte Simonsen vom Elternrat der BTG: „Der Zusammenhang zwischen Schule und Nachmittagsangebote wie Computer- und Musikgruppe, Kanufahren und Kochen wird nicht gesehen.“

Die GAL-Abgeordnete Petra Bödeker-Schoemann denkt an Pilotprojekte: „Beispielsweise scheitert ja die häufig geforderte Anwesenheit der Lehrer an den Nachmittagen an fehlenden Räumen.“ Da könnten doch die Lehrer umliegender Schulen das Gebäude nutzen. Sie könnte sich aber auch etwas mit Berufsausbildung oder eine weitere Produktionsschule vorstellen. Alles, nur kein „weiter so“. Denn das sei hinsichtlich der sinkenden Anmeldezahlen nicht möglich. „Auch gegen eine Gesamtschule habe ich nichts. Aber diese wird offensichtlich nicht angenommen. Vielleicht müsste es eine integrierte Gesamtschule mit Grundschule und Oberstufe sein.“

Die BTG können Schüler nur von der vierten bis zur zehnten Klasse besuchen. Für die Oberstufe gibt es eine Kooperation mit der Max-Brauer-Gesamtschule. Darin sieht Uwe Lorenz von der SPD das Problem: „Wenn ich glaube, mein Kind schafft das Abitur, bringe ich es doch gleich zum Original und vermeide einen weiteren Schulwechsel.“

Ansonsten geht es immer wieder um den „irgendwie schlechten Ruf“ der BTG. Wo der herkommt? Man habe halt gehört. Was? Von weniger Leistung ist da die Rede. Nur die CDU, die die Schule in eine Haupt- und Realschule umwandeln möchte, redet Klartext: Jürgen Töpfer will „von linken SPD-Leuten“ erfahren haben, dass die Schule „von Kommunisten heruntergewirtschaftet wurde“.

Dazu sagt sie SPD natürlich nichts. Vielleicht ist da auch nur jemand durcheinander gekommen, mit der Geschichte: Bruno Tesch war in der Tat ein Kommunist, einer der von den Nazis am 2. Juni 1933 hingerichtet wurde. Gemeinsam mit August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff. Sie alle waren verurteilt wegen angeblichen „gemeinschaftlichen Mordes“ von zwei am „Altonaer Blutsonntag“ erschossenen SA-Männern. An jenem 17.7.1932 waren die Nazis durch die Altonaer Altstadt marschiert. Dabei kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. 18 Menschen starben, 16 durch Kugeln der Polizei. Als Bruno Tesch auf den SA-Mann geschossen haben soll, wurde er gerade von Nazis überfallen und von der Polizei befreit. Es wurde nie bewiesen, dass er getötet oder auch nur eine Pistole mit sich geführt hat. Auf Anregung der GAL wurden in den 80er Jahren zwei Plätze, eine Straße und eben eine Schule nach den Nazi-Opfern benannt.

In diesem kruden Sammelsurium aus Zahlen, Ideologie und Erinnerung nützt es der Bruno-Tesch-Schule nicht einmal, dass selbst die Schulbehörde glaubt,„dass das schlechte Image der Schule heute nicht berechtigt ist“, sagt Rauschning. Und dass die Bruno-Tesch-Gesamtschule „enorm etwas geleistet hat“ und man „den Hut ziehen“ muss vor dem Engagement für ein Schulprogramm und für die Schüler. Vor Jahren hätten er und die damaligen Schulsenatorin Rosemarie Raab festgelegt, dass 60 Anmeldungen absolute Untergrenze für eine Dreizügigkeit wären. Also entscheiden zwei fehlende Schüler über die Existenz einer Schule?

Ja und nein, denn in der Geschichte um die Bruno-Tesch-Gesamtschule geht es auch um ein Klima, in dem – anders als noch 1979, als die Gesamtschule erstritten wurde – diese Schulform immer häufiger zur Diskussion steht. In der Eltern ihre Kinder am liebsten aufs Gymnasium schicken, Wirtschaft und Teile der Politik ihre bildungspolitischen Ziele vor allem in der Begabtenförderung sehen.

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