piwik no script img

Holy Horror Picture Show

Ob komisch oder katastrophal, ob be- oder gar nicht sinnlich: Sieben taz-MitarbeiterInnen erzählen Weihnachtsgeschichten, die das Leben schrieb. Alle offenbaren sich zum ersten Mal, manche entgegen therapeutischem Rat und die meisten nur unter Pseudonym. Denn alle Geschichten sind wahr, und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind weder zufällig noch beabsichtigt, sondern unvermeidlich.

Starkes Kind karrieregeiler Eltern

Ich stelle mir vor, in 20 oder 30 Jahren sitzt mein Sohn an seinem Schreibtisch und bringt seinen Holy Horror zu Papier. Ob es dann das Weihnachten '99 sein wird, an dem er fünf war und ebenso viele Wunschzettel kreierte? Schreiben oder Malen können braucht er dafür nicht, einfach nur die Kinderschere zur Hand und ausschneiden und aufkleben, was ihm aus den einschlägigen Spielzeugprospekten entgegen springt. Unmöglich, alles zu schenken.

Erstens fällt die Hälfte ohnehin unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, zweitens schenkt die pädagogisch aufgeklärte Mutter heute möglichst wenig, dafür aber Motorik und Intelligenz förderndes Spielzeug. Drittens kostet schon ein „action man“ 60 bis 80 Mark.

Zahlreiche Aufklärungsversuche – „du, das kriegst du nicht alles geschenkt. Weihnachten funktioniert nicht so“ – hat er geflissentlich ignoriert. Murrend zog ich los, kaufte ein wenig von dem, was er wollte – einen guten und einen bösen Kämpfer – und – ich hoffte das würde ihn beeindrucken – ein Kinder-Walkie-Talkie. „Ich krieg' doch aber alles, was auf dem Wunschzettel steht“, beharrte er wenige Tage vor Ladenschluss.

Ich hatte gerade im Radio einen Psychologen sagen hören, dass Kinder, die im Konsumrausch sind, meist von ihren karrieregeilen Eltern vernachlässigt werden. Materiellen Verzicht üben, so predigte ein anderer Experte, mache „Kinder stark“. Na klasse.

Mein Sohn war inzwischen so stark, dass er im Supermarkt drohte, vor die Kasse zu pinkeln, wenn ich ihm keine Schokolade kaufte. Er machte es nicht. Trotzdem bekam ich vor Heilig Abend Angst. Ich wollte glückliche Kindergesichter im Kerzenschein und keine Wutausbrüche.

Mein Partner kann letztere besser ertragen und war mir deshalb keine große Hilfe: „Schenk ihm zwei kleine Autos und ein Ü-Ei. Das reicht!“ Oma und Opa waren bereits auf den Anti-Verwöhn-Tripp eingeschworen und hatten „nur“ Kleidung und Bilderbücher in petto. Und ich hatte jeden Abend ein vor überschäumenden Erwartungen fast durchgedrehtes Kind ins Bett zu bringen.

Zwei Tage vor Weihnachten kam die rettende Idee: Sollte doch der Kerl, der uns das alles eingebrockt hat, die Sache ausbaden. Mein Sohn war zwar nicht im strikten Glauben erzogen worden, dass es ihn gab. Aber als unser verkleideter Nachbar in der Tür stand, zollte er dem rotbemantelten bärtige Wesen gehörigen Respekt. Und mehr als drei Pakete waren in dessen Beutel halt nicht dabei. Mein Sohn packte die Präsente aus und bedankte sich artig. Dem Weihnmachtsmann pinkelt man halt nicht ans Bein.

Mama Machtlos

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen