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Lass deine Jeanshose steigen

Eigentlich war’s ja nicht so besonders, aber irgendwie war’s trotzdem schön: Leander Haußmann inszenierte Ulrich Plenzdorfs „Legende von Paul und Paula“ an der Volksbühne als zeitgemäß melancholischen Datschenschwank. Das Publikum auf jeden Fall war wild entschlossen, sich zu amüsieren

von ESTHER SLEVOGT

Die Erwartungen waren groß, aber wahrscheinlich wollte eh keiner ein Theaterstück sehen, sondern einen Film. Heiner Carows DEFA-Klassiker von 1973 zum Beispiel, „Die Legende von Paul und Paula“. Oder wenigstens eine Art „Sonnenallee“.

Erst sah es auch so aus, als würden sie Leute ihre „Sonnenallee“ bekommen. Wie direkt aus den 70er-Jahren in die Volksbühne gebeamt, war ein Hippie-Pärchen mit Klampfe und Tamburin vor den Vorhang getreten und hatte voller Inbrunst Bob Dylans „Blowin’ In The Wind“ intoniert. Das Publikum, wild entschlossen, sich zu amüsieren, kicherte und gluckste. Wieherte auf, als erst ein Indianer und dann ein Abschnittsbevollmächtigter in DDR-Uniform (Michael Klobe) hinzukam: halb so groß wie Detlef Buck, aber doppelt so komisch. Aber dann gab es doch ein Theaterstück, und hinterher waren alle ein bisschen traurig. So schön sang Donovan am Ende seine Ballade vom untergegangenen Atlantis, und Atlantis, das weiß man ja, wurde von manchen auch DDR genannt.

Ein paar Überlebende dieser Insel der Glückseligkeit haben sich in Haußmanns Bearbeitung des Plenzdorf-Stoffes in einer Datschenkolonie beim Grill versammelt, der so gelackt und modern ist, wie diese neuen Zeiten eben sind. Ansonsten sieht alles noch so aus wie damals: Im Hintergrund von Bert Neumanns sozialistischem Neverland glüht die Skyline des Alexanderplatzes inklusive Fernsehturm und Plattenbauten, für die in Carows Film gerade die noch alten Häuser weggesprengt wurden.

Damals war die DDR jung und schön, und im Gedächtnis ihrer früheren Bürger ist sie das wohl auch geblieben. Genauso schön wie die jung gestorbene Paula (Annika Kuhl), die immer wieder als dürres Gespenst durch die Laubenkolonie geistert und deren totaler Glücksanspruch die fett und alt gewordenen Überlebenden dieser Zeit noch immer süchtig macht. Also saugen sie sich die Legende von Paul und Paula gegenseitig von den Lippen, bis die alten Zeiten wieder auferstanden sind. Kleben dann später an den Fenstern vom rosafarbenen Bungalow Nr. 4, wo sich Paul und Paula gerade heftig lieben. Irgendwo hat natürlich jeder noch seine Jeans von früher. Und in einer der schönsten Szenen des Abends versuchen sich die Veteranen noch einmal in diese Hosen zu zwängen, die meisten natürlich vergebens.

So erlebt man also die Legende von Paul und Paula auch als Legende von der DDR. Zwischendurch taucht Collie (Bodo Krämer) als Diskjockey auf und sorgt für den zeitgemäßen Sound. Die Palette der gesungenen oder gespielten Lieder reicht von den Puhdys und Stones über Parteilieder und Wolf Biermann bis in die Niederungen der billigen Schlager. Es gibt einen alten Tanzlehrer (Winfried Wagner), der aussieht wie der DDR-Kritikerpapst Ernst Schumacher und von dem ein paar ältliche Damen immer noch wie von der Liebe und der DDR träumen.

Am Ende schieben sie dann doch die Kulissen der zu Miniaturen geschrumpften Plattenbauten beiseite. Nur die Datschen bleiben bedrohlich und überlebensgroß stehen: Die DDR ragt als Traum und Albtraum zugleich in unsere Zeit hinein. Das hatte seine Längen und Harmlosigkeiten, aber zuletzt erinnert man sich an Haußmanns Inszenierung wie an die DDR: Eigentlich war’s ja nicht so besonders, aber irgendwie war’s trotzdem schön.

Nächste Vorstellungen am 23., 25 und 29. 12., jeweils 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

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