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Mehr Gespür für den Schnee

Mit neuen Trainern und neuem Konzept soll die Nachwuchsmisere bei den alpinen Skifahrern bekämpft werden, welche die Erfolge des Frauenteams lange verschleierten

aus München CLAUDIO CATUOGNO

Es war nur ein Trainingslauf, aber er war Sinnbild für die Krise der deutschen Skifahrer: Im Übungsdurchgang des letzten Abfahrtsrennens vor Weihnachten landeten die deutschen Teilnehmer Stefan Stankalla, Florian Eckert und Christian Praßberger auf den Plätzen 53, 65 und 67. Langsamer als Eckert und Praßberger waren in Val d’Isere nur noch ein Tscheche, ein Slowake, ein Däne, ein Japaner und ein gestürzter Amerikaner. Und überhaupt: Wer kennt auch nur die Namen dieser Skifahrer, die sich meist hinter der Formulierung „Deutsche waren nicht unter den ersten 30“ verbergen?

Die alpinen Herren stecken in der Krise, seit Mitte der 90er-Jahre Markus Wasmeier und Armin Bittner von den Weltcup-Pisten verschwanden. Während sich schon mal neun Österreicher unter den ersten zehn platzieren, sind nicht halb so viele Deutsche in der Lage, überhaupt ein Weltcuprennen zu absolvieren.

„Aber in diesem Winter“, sagt Walter Vogel, der Technische Leiter des Deutschen Ski-Verbandes (DSV), „in diesem Winter herrscht Aufbruchsstimmung.“ Martin Oßwald kehrte nach sechs Jahren aus Norwegen zurück und wurde Chefcoach, Hans Flatscher, bisher Co-Trainer der Österreicher, ist jetzt für die deutschen Abfahrer zuständig. Aber, sagt Vogel, ein Problem bleibe natürlich: „Wir haben immer noch die gleichen Skifahrer.“ Deshalb lautet auch Oßwalds Strategie für die Weltcuprennen: „Punkten, punkten, punkten“, um so eine Basis für spätere Erfolge zu schaffen.

Denn was in der Politik Wählerstimmen sind, sind im Skifahren Startplätze: Eine kleine Partei hat wenig Geld, weil sie kaum gewählt wird, und sie wird kaum gewählt, weil sie ohne Geld keine Wahlkämpfe finanzieren kann. Und genauso erhält ein erfolgloses Skiteam kaum Startplätze, im Fall des DSV sind es je nach Disziplin zwei bis vier. Das wiederum bedeutet mangelnde Rennerfahrung – und es bleibt bei schlechten Platzierungen. Hinzu kommt, dass man mit hohen Startnummern selten sehr gute Zeiten erzielt. Und der Abfahrer Max Rauffer quetschte sich den Meniskus, wenige Tage nachdem er im ersten Rennen der Saison Achter geworden war. Das ist das Dilemma aus kurzfristiger Perspektive.

Für die langfristige Planung ist neuerdings Franz Ringsgwandl zuständig, und der sagt selbstkritisch: „Wir haben in den letzten Jahren Ski-Fachidioten ausgebildet.“ Ringsgwandl war bis vor einem Jahr Abfahrt-Trainer der deutschen Weltcup-Fahrer und will jetzt als DSV-Nachwuchschef Fehler der Vergangenheit korrigieren. Bisher, sagt er, hätten die Skitalente zu früh mit dem Renntraining der Erwachsenen begonnen. Seien „Stangen, Stangen, Stangen“ gefahren und dann bald an ihre Grenzen gestoßen. Jetzt will der DSV seine Jugendlichen vor allem zu „kompletten Skifahrern“ ausbilden, die jede Situation „im Schlaf“ bewältigen. Erst dann soll „auf breiterer technischer Basis“ die Spezialisierung für den Wettkampf“ erfolgen. „Dadurch“, hofft Ringsgwandl, „können wir mehr aus unseren Talenten rausholen – das ist uns bisher nicht gelungen.“

Von heute auf morgen allerdings wird der Nachwuchschef die Strukturen nicht verändern können. Er steht einem eingefahrenen System von ehrenamtlichen Skilehrern in vielen kleinen Klubs gegenüber und muss dort „die Denkweise verändern“. Als erster Schritt wurden die DSV-Nachwuchsrennen Schüler-Cup und Kids-Cup der neuen Philosophie angepasst: Zu den klassischen Disziplinen kamen Buckelpiste, Springen oder ein Vielseitigkeitslauf hinzu.

Die neuen Konzepte gelten auch für den Frauenbereich, wo regelmäßige Erfolge heute noch von der Nachwuchskrise ablenken. Ein Team mit Martina Ertl, Katja Seizinger und Hilde Gerg bezeichnet Walter Vogel aber lediglich als „absoluten Glücksfall“, vergleichbar mit der Boris-und-Steffi-Phase im Tennis. Bekanntlich ein vorübergehender Zustand.

Für den Erfolg der Österreicher gilt das weniger: „Die haben einen klaren topografischen Vorteil“, sagt Vogel. Seit im bayerischen Alpenvorland immer weniger Schnee fällt, müssen deutsche Skiteams oft zwei bis drei Stunden in die Skigebiete fahren, „während die Talente in den österreichischen Bergdörfern jeden Nachmittag gratis auf die Piste dürfen“. Außerdem gibt es im Alpenstaat Skigymnasien, Skihandelsschulen und Skiinternate. So stellt sich, wie immer in der Diskussion um Krisen im deutschen Leistungssport, die Frage: Soll man das wollen? Dass potenzielle Talente „verheizt“ würden, will Vogel zwar „so nicht sagen“, aber, natürlich: „Hunderte steigen ein, nur einer kommt groß raus.“

Als dieser eine kommt zur Zeit höchstens Max Rauffer in Frage, falls er nach seiner Knieoperation wieder zu alter Form zurückfindet. Allerdings wurde der 21-jährige Florian Eckert nach dem frustrierenden Trainingsergebnis in Val d’Isere im Rennen immerhin 18., Stefan Stankalla erreichte Platz 27. „Ich hätte mir nie vorstellen können, mich einmal über solche Platzierungen zu freuen“, sagte Trainer Flatscher, der bisher mit den Österreichern Sieg um Sieg einfuhr. Beim DSV freute er sich so, dass er sogar das Wort „Trendwende“ in den Mund nahm.

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