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Neu in der Berliner Schule

Endlich was los, endlich mal echte Menschen: Viele in Wohnzimmern und Hinterhöfen groß gewordene Berliner Bands haben mittlerweile ihren Abschluss gemacht und sind bei Viva, Eins live und dem Rolling Stone gelandet

von GERRIT BARTELS

Eine Mittwochnacht, kurz vor Weihnachten im Maria am Ostbahnhof: Die Damen von der Flittchenbar verabschieden sich mit einem Singer/Songwriter-Event aus dem oberen Stockwerk des Maria, wo sie zwei Jahre lang jeden Mittwoch Freunde und Bekannte zu einem kleinen, kreativen Stelldichein empfingen. Ein Abschied, der folgerichtig ist und auf ein paar Verschiebungen in der Berliner Musikszene weist.

Seit seinem Umbau im Sommer dieses Jahres hat das Maria einen etwas anderen Charakter bekommen. Vom Club, in dem es passiert, in dem sich hauptsächlich die Berliner Club- und Indieszene trifft, wo sich eine Band wie No Underground einen jede Woche größeren Fankreis erspielte oder Britta oder Contriva erste Auftritte in einem größeren Rahmen hatten, zu einem mittelgroßen Konzertvenue, das von Agenturen wie Trinity, Knaack oder Loft gebucht wird und das dementsprechende Publikum anzieht: Man kommt hier nicht mehr nur her, um seine Freunde zu treffen und dann zu begutachten, was diese so produzieren, sondern vor allem auch, um bestimmte, weitgehend bekannte Bands wie Modest Mouse oder Le Tigre zu sehen. Wobei im Fall des Auftritts von Le Tigre das Maria vor allem wohl aus allen Nähten platzte, weil im Vorprogramm Peaches auftrat: Die kanadische Wahlberlinerin ist im Umfeld der Clubs Maria und Bastard groß und berühmt geworden.

Doch selbst das passt ins Bild: Denn die Berliner Bands und Projekte, die in letzter Zeit gern mal unter dem Begriff „Neue Berliner Schule“ zusammengefasst wurden, haben ihren Abschluss gemacht: Sie sind den Wohnzimmern und Hinterhauskellern entwachsen, waren auf Deutschland-Tour, haben erste Alben veröffentlicht (ja, auch das Jeans Team!) und sind mit diesen Alben oder mit Hitsingles wie „Walking Back Home“ (Commercial Breakup), „Keine Melodien“ (Jeans Team) oder „A-Seite“ (Komëit) bei Viva zwei, Eins live und dem deutschen Rolling Stone gelandet.

Auch diese Entwicklung ist eine folgerichtige. Aber sie weckt auch neue Begehrlichkeiten und bringt zum Beispiel einen Sampler wie „Familienangelegenheiten aus Berlin“ hervor. Diese von dem Berliner Labelbetreiber George Lindt zusammengestellte Compilation enthält auf zwei jeweils sechzig Minuten dauernden CDs Musik von genau den Berliner Bands, die sich in den letzten zwei, drei Jahren einen Namen gemacht haben: Von den Pop Tarts über Doc Schoko, von Mina bis zu No Underground sind sie alle mit einem Song vertreten und bekommen schließlich noch durch die Auftritte von Blixa Bargeld, Mutter oder Funny van Dannen sozusagen die höheren Berliner Weihen. Die Zukunft für die meisten der Bands hat zwar gerade erst begonnen, „Familienangelegenheiten aus Berlin“ aber ist jetzt schon Retrospektive und Werkschau – die allerdings gerade in Berlin und wahrscheinlich auch anderswo niemand braucht. Doch laut Linernotes will der Sampler auch nicht mehr als als „repräsentativer Querschnitt“ dienen und vor allem „Anfängerschwierigkeiten“ und „Schwellenängste“ im Rest der Republik beheben. Auf dass auch junge Leute in Dortmund und Schwenningen die Berliner Musik verstehen und lieben lernen.

Problematischer aber wird’s, wenn sich ein in Berlin ansässiges Majorlabel (V 2) und ein Radiosender (Fritz) zusammentun und ihrerseits einen Sampler mit dem Titel „Berlin macht Schule“ veröffentlichen. Da finden sich neben Jeans Team und Commercial Breakup auch Bands wie Viktoriapark (alte Schule) und Zwei-Raum-Wohnung (ganz alte Schule), doch insbesondere finden sich da eine Menge gänzlich unbekannter Bands, die Cobra, Delbo, Schrottfisch oder Elvira heißen und anscheinend direkt vom Übungskeller weg gebucht wurden. Von einzelnen Ausnahmen wie den Genannten abgesehen klingt diese Compilation wie ein Nachklapp auf den vor allem von Radio Fritz erst zu einem Hit gemachten Song „Wir trafen uns in einem Garten“ von Zwei-Raum-Wohnung: Schnuckelig, niedlich, formatiert, garantiert ohne Nebenwirkungen. Waren auch Compilations wie „Freischwimmer“ von Kitty Yo oder „Fucky Don’t“ vom Fucky Label nicht durchweg weltberühmt, so spürte man doch immer eine bestimmte Handschrift – so kraus und krude das mitunter war, so heterogen und offen. Da hat dann jemand wie Vredeber Albrecht von Commercial Breakup nicht mal was dagegen, auf einer Golden-Greats-Compilations der Bild-Zeitung zu erscheinen. Man weiß halt, wo man herkommt, wo man steht und wo man hinwill mit seiner Musik. Die Zusammenhänge aber, aus denen die meisten Bands auf dem „Berlin macht Schule“-Sampler stammen, kennen wahrscheinlich nur die Leute von V 2 und Radio Fritz. Der Senatsrockwettbewerb lässt grüßen. Damit endlich amtlich wird, was bisher nur so im Berliner Raum herumschwebte, damit der vage Begriff von der Berliner Schule nun endlich seine Kreise ziehen kann. Anzunehmen, dass sich im Erfolgsfall die Sonys und EMIs sputen und ebenfalls ein paar neue Berliner Schüler ins Rennen schicken werden.

Das führt sicher, man will ja nicht nur unken, auch zu produktiven Missverständnissen und Hits, von denen heute noch keiner weiß. An „Rock me in crazy Berlin“, das Britta auf ihrem neuen, Anfang März erscheinenden Album mit dem schönen und logischen Titel „Kollektion Gold“ beschwören, denkt man jedoch nicht mehr. Doch so wie Britta das singen, so zaghaft-melancholisch, klingt das auch nicht nach Aufbruch, sondern nach einer sehr versunkenen Zeit.

Andererseits kann man all das auch ganz befreit und ohne falsche Scham nach vorne denken. So wie Patrick Wagner von Surrogat. Der war ebenfalls beim Flittchen-Abschiedsabend, äußerte seine Skepsis hinsichtlich der Zukunft des Marias, schwärmte aber lieber über die kürzlich absolvierte Surrogat-Tour.

Da scheint es volle Clubs, auf die Bühne fliegende Höschen und Teddys, Stagediving, Rockposen nicht nur auf der Bühne und zigfach Autogrammwünsche gegeben zu haben. Das hat den Surrogatsänger und Kitty-Yo-Betreiber ziemlich beeindruckt und ihn eine Lockerheit wahrnehmen lassen, die es in Berlin nicht gibt (und nie gegeben hat): „Endlich mal richtig was los, endlich mal echte Menschen!“ Easy Rockin’ Superstar!

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