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Nicht ganz spannungsfrei

Ein Rückblick nach fast zehn Jahren Leitung: Stephan Schmidt-Wulffen verlässt mit dem Ende des Jahres 2000 den Kunstverein in Hamburg und übernimmt die Kunsthalle zu Kiel  ■ Von Christoph Schäfer

Es gibt ja hauptsächlich zwei Sorten von Menschen: Punkrocker und New Waver. Dass Stephan Schmidt-Wulffen, bis zum Jahresende 2000 Leiter des Kunstvereins in Hamburg, unzweifelhaft der letztgenannten Gruppe zuzurechnen ist, konnte man eigentlich schon daran sehen, dass er – es muss so um '88 herum gewesen sein – immer noch einen dieser dunkelgrün/schwarz-meliert glitzernden Retroanzüge trug. Auch seine Vorliebe für französische Theorie passt insofern ins Bild, wie auch die daraus sich ableitende Abneigung gegen alles, was im Namen der Authentizität durch die Tür kommt, und den Geruch von Malerei, ehrlicher Arbeit, ausgiebigem Bierkonsum, unbegründetem Genieanspruch und lokaler Einbettung ausströmt. Aber gerade diese Eigenschaften sind es ja, die die herrschende Klasse in der Regel durch ihre Künstler ausgelebt sehen will. Keine leichte Aufgabe, die Basis der mitgliederreichsten Kunstinstitution der Stadt mit Avantgardeansprüchen (oder schlicht: dem Bedürfnis, sich nicht zu langweilen) zu konfrontieren ...

Es begann mit einem Knall: Act-Up, eine der ersten Ausstellungen Stephan Schmidt-Wulffens als Leiter des Hamburger Kunstvereins, im damaligen Ausweichquartier, den Deichtorhallen, zu „Ethik und Aesthetik im Zeitalter von Aids“, war die erste, die im deutschen Sprachraum aktivistische Kunst zeigte – jene Kunst also, die die Neunziger Jahre prägen sollte.

So eine Ausstellung kann man eigentlich nicht machen“, resümiert Schmidt-Wulffen heute, „weil über die Kunstwerke immer die Gefahr besteht, dass man die Situation der Kranken instrumentalisiert. Es gab zum Beispiel die anonyme Künstlergruppe Gran Fury, und die haben da, ich glaube, das einzige Mal zugestimmt, in einem Raum ihre Aktivität zu dokumentieren. Aber es war eben auch interessant, mit den Künstlern über die Situation zu diskutieren: Was ist die politische Zielsetzung, was bedeutet das im Bereich der Kunst, wie müssen wir es machen, um die Kranken nicht zu instrumentalisieren? Diese Nahtstelle war schon sehr bewusst, die Diskussion hat mir auch für die spätere Arbeit viel gebracht.“

Über die Zeit von Stephan Schmidt-Wulffen in Hamburg sprechen (er übernimmt das Kunstmuseum in Kiel), heißt natürlich über die Kunst der Neunziger Jahre zu reflektieren – und heißt für mich, über Kunst und Politik nachzudenken. Weil diese Felder so gern auseinander gerechnet werden, weil das auch auf den Seiten dieser Zeitung andauernd geschieht und weil die Versuche, Kunst und Politik zusammenzudenken, zwar selten glücklich sein mögen, nichtsdesdotrotz die entscheidenden Schritte nach vorn aus genau dieser Reibung entstehen.

Ein nicht ganz spannungsfreies Terrain zwischen Schmidt-Wulffen und mir – schließlich war der Kunstverein nie eine Spielstätte der sich zu diesem Zeitpunkt formierenden selbst organisierten KünstlerInnengruppen, Poplinken, Fanzines, Zeitschriften, die ihre Aktivitäten aus dem Feld der Kunst heraus entwickelten, aber sich nicht auf dieses Feld beschränken lassen wollten.

Heftig unter Beschuss geriet beispielsweise die Ausstellung backstage, mit der der Kunstverein seine neuen Räume in der südlichen Markthalle eröffnete, weil diese Ausstellung mehr mit der fragwürdigen Sensation des „Blicks hinter die Kulissen“ der Institution spielte, als diese zu dekonstruieren. Stattdessen wurden hier erstmals jene Positionen gezeigt, die eine Zeit lang den Kunstverein dominierten und als „Servicekunst“ bekannt wurden, später banalisiert – „Der-Künstler-will-uns-zeigen-dass-wir-in-einer-Dienstleistungsgesellsch aft-leben“ – und schließlich verachtet wurden: Jorge Pardo baute einen Beratungstisch für den Vorstand, Rikrit Tirivanija bot, verkürzt gesagt, Pfanni Flädle-Suppe an. Einerseits. Andererseits gab es da auch diesen sprechenden Tannenbaum von Phillippe Parreno zu sehen, aus dem die Stimme von Godard rauskam.

Später ließ derselbe Künstler Nachrichtenroboter und Wahrheitsikone Dagmar Berghoff eine revolutionäre Analyse der Reorganisation bei Renault verlesen („Renault baut keine Autos, Renault baut Beziehungen“) – eine Analyse, von der ich mir gewünscht hätte, dass sie viele Linke wahrgenommen hätten – aber hätten Sie den Witz verstanden? Oder die Ausstellung von Liam Gillick? Der behauptete jahrelang, an einem Agentenfilm zu arbeiten, zeigte aber schlauerweise in jeder Institution nur Versatzstücke – die mit dem angeblichen Film gar nichts zu tun hatten. Der Kunstverein musste sich mit seltsamen kleinen LCD-Monitoren zufrieden geben, die elegant auf mit Glitter bestreuten Don-Judd-artigen Skulpturen plaziert waren... Kein Sammler, keine Galerie konnte das ganze Werk ausstellen – und für sich vereinnahmen. Auch das eine – politisch – bedenkenswerte, nicht konfrontative Strategie für souveränes Handeln auf dem glitschigen Terrain der postfordistischen Machtverhältnisse, auf dem klassische Widerstandsformen keinen Halt mehr finden.

Es schließt sich gerade eine Epoche ab, weshalb für mich die Kritik an der politischen Positionierung des Kunstvereins, des manchmal fehlenden Muts, an dieser Stelle in den Hintergrund rückt. „In den ersten drei Jahren war die Haltung der Leute eher: Wir verstehen das nicht – aber das ist unser Problem, jetzt müssen wir uns mal Mühe geben. Das tut weh, aber das hat irgendwie was mit Kunstrezeption zu tun... Jetzt sagen die Leute viel eher: Ich versteh das nicht. Wozu auch – dieses abgehobene Zeug... Und da sollen wir uns womöglich noch anstrengen! Unsere unmittelbaren Bedürfnisse womöglich aufschieben ...! Da ist eine größere Unduldsamkeit entstanden – das ist aber dieselbe wie 1984 (die Hochzeit der neuen Wilden, Anm, C. S.). Das ist in dem Zusammenhang zu sehen mit ökonomischem Wachstum, mehr Geld von einigen in der Gesellschaft, Prosperität ... das führt auch Leute an die Kunst heran, die über die Eigenschaften des klassischen Kunstfreunds – Ausdauer, dieses Gefühl: man-muss-sich-selbst-Kennerschaft-aneignen, in einem langwierigen Prozess – das haben die Leute mit dem neuen und schnellen Geld nicht. Die kommen, drei, vier, fünf Jahre sind die präsent ... Dann geht die Ökonomie wieder runter, und dann wird die Atmosphäre auch wieder eine andere. Ich kenne das aus Köln, '83 bis '86 – relativ ähnlich. Am Anfang waren wir in diesem Zyklus drin, auf dem Höhepunkt der kontextuellen Kunst, die eine politik-kritische war, die eine sozial sensible Kunst war, und dann, nach der Hälfte meiner Arbeitszeit, begann dieser Zyklus abzuflauen und umzukippen, und genau da sind wir mit dem Schluss des Programms 'reingeraten. Das wird noch, denke ich, zwei, drei Jahre so weiter gehen, und dann kippt das wieder um, so wie '87, dann haut das wieder um. Dann beginnen die Leute wieder zu suchen. Das merkt man ja auch zur Zeit an der Malerei – da guckt ja kein Mensch, was da gemacht wird, das ist ja alles sehr ähnlich im Grunde.“

Trotzdem finde ich schade, dass die Beziehung des Kunstvereins zum politisierten Kunstfeld eine punktuelle und distanzierte geblieben ist – was dieses Feld unnötig geschwächt hat. Etwas zu sehr bemüht um Seriösität, für meinen Geschmack, was den Nachteil hat, dass das Kunstfeld mit seiner Ignoranz gegenüber dieser Tendenz zu leicht davon kommen konnte. Den Vorteil andererseits, dass eine herzzerreissende Ausstellung wie die von Mark Dion zustande kam, in der eine sprechende Plüsch-MickeyMouse in Park-Ranger-Uniform an einem Entdecker-Kolonisator-Schreibtisch des Neunzehnten Jahrhunderts vor plastiktiergefüllten Gläsern mit der Aufschrift „extinct“ saß, während ein bebrillter ausgestopfter Fuchs, in einer Hängematte ruhend, über die Rolle des Forschers als Zerstörer des Erforschten räsonnierte.

Anders machte es der Münchner Kunstverein, unter Helmut Draxlers Leitung für kurze Zeit das andere international diskursfähige Institut: Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit Lefebvres und Tafuris Theorien und wandten diese auf die Umstrukturierung Münchens durch die Olympischen Spiele an („Die Utopie des Designs“), es gab Anti-Gentechnik-Ausstellungen. Schließlich kulminierte die Münchner Entwicklung in der kompletten Auslieferung des Ausstellungsortes an Stefan Dillemuths „Sommerakademie“, die für einige Wochen als Diskussions- und Produktionsort fast aller zu diesem Zeitpunkt im deutschsprachigen Raum aktiven KünstlerInnengruppen funktionierte. In dieser Entschiedenheit und Schärfe war der situationistisch beeinflusste künstlerische Unterstrom in Hamburg nicht präsent, dafür strickte Schmidt-Wulffen solide am Zusammenhang von Kunst, Stadt, Architektur und öffentlichem Raum: Umwerfende Highlights wie die Archigram-Retrospektive (eine britisch-pragmatische Pop-Anverwandlung der situationistischen Entwürfe für flexible Städte und ein nomadisches Leben permanenter Abenteuer) oder Absaloms existenzialistische Wohnzellen, machten Fehleinkäufe wie den Poser Jean Nouvel vergessen (dem die leichtfertige und völlig unbegründete Deleuze/Guattari-Zitiererei nicht verziehen werden sollte).

Nicht zu unterschätzen aber ist der Einfluss der Schmidt-Wulffenschen Neugier auf die Entwicklung des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“ der Hamburger Kulturbehörde: Interventionistische Projekte wie Park Fiction gibt es in derBRD sonst nicht und sie dürften andernorts auch nicht mit staatlicher Förderung rechnen, und der Anspruch von Programmen wie weitergehen und des aktuellen Außendienst ist der Kunst-am-Bau-Praxis anderer Städte um Lichtjahre voraus. Hoffentlich spielt da weiter jemand den Ideengeber, der es mit der Kunst und der künstlerischen Autonomie genau nimmt. Sonst wird man Hamburger Kunstfreunde in Zukunft häufiger am Bahnhof sehen, unterwegs nach Kiel.

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