: „Hauptproblem: Illegalität“
Der Suchtexperte Michael Haberkorn glaubt, dass in Berlin längst nicht alle Drogentoten in der Statistik auftauchen. Er plädiert dafür, Drogenerwerb zu legalisieren, um das Todesrisiko zu senken
Interview JULIA NAUMANN
taz: Nach Angaben der Polizei ist die Zahl der Drogentoten im Jahr 2000 erneut gestiegen – auf 215. Woran liegt das?
Michael Haberkorn: Ich bin skeptisch, was die Statistiken angeht. Ich glaube, dass die Anzahl der Drogentoten sogar wesentlich höher sind. Denn es ist überhaupt nicht klar, wer als Drogentoter zählt. Es sind auch diejenigen, die an den Begleiterscheinungen gestorben sind, zum Beispiel an Aids.
Unabhängig von den Zahlen: Worin sehen Sie die Gründe?
Gründe für den Anstieg der Todesfälle könnten die schlechte Qualität des Stoffes und der ausgeprägte Mischkonsum sein. Das Grundproblem des Drogenkonsums bleibt jedoch, dass er sich überwiegend in einem illegalen Bereich abspielen muss und damit für alle Seiten unkontrollierbar bleibt. Es gibt keine Qualitätskontrolle des jeweiligen Stoffs. Damit steigt das Risiko.
Plädieren Sie dafür, dass Drogen legalisiert werden?
Erwerb und Gebrauch sollten strafverfolgungsfrei sein.
Was hat sich in den vergangen Jahren am Drogenkonsum verändert?
Haschisch ist bei Jugendlichen fast zum Standard geworden. Mehr Jugendliche probieren Drogen aus. Das heißt aber nicht, dass sie zu Dauerkonsumenten oder abhängig werden. Es gibt keinen Automatismus vom Probieren zum Süchtigwerden.
Gibt es Unterschiede im Drogengebrauch zwischen dem Ost- und dem Westteil Berlins?
Nach Statistiken der Bundesregierung sind die Zuwachsraten der 18- bis 25-Jährigen im Osten stärker als im Westen. Das heißt, beide Teile der Stadt nähern sich im Konsum an.
Hat die Prävention versagt?
Wenn der Gradmesser für eine gute Prävention eine systematische Aufklärung ist, gibt es in Berlin noch großen Handlungsbedarf. An den Schulen müsste viel mehr über Drogen aufgeklärt werden, doch leider wird auch in diesem Bereich gespart. Es müsste mehr schulunabhängige Teams geben, die mit den Jugendlichen sprechen. Vertrauenslehrer nützen da nicht viel. Wenn ein Schüler dealt, sind sie verpflichtet, es zu melden. Dadurch wird eine vertrauensvolle Kommunikation verhindert.
Hat der Senat sich in den vergangenen Jahren zu wenig um Drogenpolitik gekümmert?
Es ist bedauerlich, dass das Land bisher immer wieder Gründe gefunden hat, nicht beim Modellversuch zur kontrollierten Heroinabgabe mitzumachen, denn dadurch würde die Gesundheit langjähriger Drogenkranker verbessert werden. Außerdem brauchen wir Druckräume, damit der verelendete Teil der Fixer besser versorgt ist.
Michael Haberkorn (53) ist Referent der Landesstelle Berlin gegen die Suchtgefahren e. V.
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