: Verdachtsfall
BSE schon länger auch in Büchern: In „Die Schönheit jener fernen Stadt“ besucht Ronald Wright eine kranke Zukunft
Als der Archäologe David Lambert vom Tod seiner Exfreundin Anita Langland hört, ist er beunruhigt. Seit längerem leidet er an Schwindelanfällen und Durchfällen und sucht darum die Ärztin auf, bei der Anita in Behandlung war: „Wenn sie an Aids gestorben ist, haben Sie die Pflicht, mich zu informieren.“ Die Ärztin beruhigt ihn, Anita war HIV-negativ. Sie untersucht Lambert, findet aber zunächst keine Anzeichen einer Erkrankung. Der junge Wissenschaftler solle mehr Sport treiben und sich gesünder ernähren.
Nachdem Lamberts Zustand sich nicht bessert, kommt die Ärztin noch einmal auf den Fall Langland zurück: „Was ich Ihnen bisher nicht gesagt habe, ist folgendes. Wir haben ein paar Gewebeproben aus Ms. Langlands Körper entnommen ... Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist schwer zu erkennen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass Ms. Langland damit infiziert war. Es scheint so, als gäbe es eine gewisse Übereinstimmung zwischen den von Ihnen geschilderten Symptomen und dem, was Ms. Langland am Anfang über ihre Krankheit gesagt hat.“ Lambert unterzieht sich einer Biopsie, das Ergebnis ist nicht eindeutig negativ – und der junge Archäologe ist damit der erste Creutzfeldt-Jakob-Verdachtsfall der Literatur: David Lambert ist die Hauptfigur in Ronald Wrights Roman „Die Schönheit jener fernen Stadt“, der 1997 in Kanada und ein Jahr später – weitgehend unbeachtet – in Deutschland erschien.
„A Scientific Romance“, so der Originaltitel, ist kein medizinischer Thriller, sondern die literarisch aufwendige Fortsetzung eines Science-Fiction-Klassikers: Ronald Wright lässt Lambert einen Brief von H. G. Wells finden, und das ist neben der BSE-Geschichte der eigentliche Einstieg in den Roman. Der Schriftsteller erklärt darin, es habe die Zeitmaschine aus seinem gleichnamigen Roman wirklich gegeben und kündigt ihr Erscheinen im Jahr 1999 an. Aufgrund seiner möglichen Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung ist David Lambert an einer Reise in die Zukunft sehr interessiert: „Wie lange wird es wohl dauern, bis es eine Therapie für CJK gibt? Zehn Jahre? Ein ganzes Jahrhundert? Hängt wohl davon ab, was man unter medizinischem Fortschritt versteht.“ Vorsprung durch Technik: Lambert sucht die Maschine und bricht auf in das Jahr 2500.
Genau wie der Zeitreisende in Wells’ Roman trifft Lambert auf eine Zukunft, die vor allem Unannehmlichkeiten bereithält: London verlassen, ganz Britannien ein Dschungel, und von der Menschheit sind nur noch ein paar degenerierte Reste übrig.
Als Leser müsste man sich dabei nicht mehr gruseln als bei den Alpträumen der „Zeitmaschine“. Das Jahr 2500 ist ja noch in weiter Ferne. Sehr unappetitlich liest sich allerdings die Geschichte der Zwischenzeit, die der Archäologe Lambert in der Zukunft anhand von Dokumenten und anderen Fundstücken rekonstruiert: Creutzfeldt-Jakob war nur der Anfang, immer mehr Krankheiten befallen zu Beginn des 21. Jahrhunderts Tiere und Menschen. Zuletzt werden Todesstationen eingerichtet werden: Euthanasie für alle.
In dieser Zukunft, die in Ronald Wrights Roman schon Vergangenheit ist, sind wir natürlich längst noch nicht angekommen. Ob man sich angesichts der aktuellen Schreckensszenarien, für die in diesen Tagen eher die Redakteure der Tageszeitungen als die Verfasser von Romanen zuständig sind, eine Zeitmaschine wünschen soll? Und vor allem: Welche Reisedauer sollte man wählen? 30 Jahre beträgt nach Hörensagen die Inkubationszeit bei Creutzfeldt-Jakob. Das kann eine lange Zeit sein, aber auch eine sehr kurze. KOLJA MENSING
Ronald Wright: „Die Schönheit jener fernen Stadt“. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff, dtv, München 1998, 396 Seiten, 28 DM
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