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Ungesundes Leben auf der Straße

Sozialbehörde wehrt sich gegen Vorwurf, es habe zwei Kältetote gegeben  ■ Von Kaija Kutter

Ingo Schädlich, Pressesprecher der Sozialbehörde, begann gestern das neue Jahr mit dem Verfassen einer Richtigstellung. Es sei nicht wahr, wie die Medien kurz vor Silvester vermeldeten, dass es im Dezember zwei Kältetote gegeben habe, sagte Schädlich zur taz. Der Mann, der in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember in einem Zelt unter der Kennedybrücke schlief, sei nicht erfroren, sondern an einer Hirnblutung gestorben. Schädlich stellte kategorisch fest: „Der Tod hat mit der Kälte nichts zu tun.“ Dies habe eine Obduktion, die die Staatsanwaltschaft wegen der ungeklärten Todesursache routinemässig angeordnet habe, ergeben.

Bei dem ersten Toten, der bereits an 17. Dezember auf einer Parkbank in der Güntherstraße erfroren war, habe es sich nicht um einen Mann aus dem Obdachlosenmillieu gehandelt. Schädlich: „Der Mann hatte eine Wohnung.“

Somit ergibt sich für die Sozialbehörde auch kein Handlungsdruck. In den Winternotunterkünften für Obdachlose auf der „Bibby Challenge“ in Altona und im Neustädter PikAs wären noch Schlafplätze frei, fährt Schädlich fort: „Kein Mensch wird dort abgewiesen“. Es gebe aber immer wieder Menschen, wie den Toten unter der Brücke, die auch durch Zureden nicht bereit wären, die Übernachtung im Freien aufzugeben.

Für Stefan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei Hinz & Kunzt, ist das kein Wunder, wirkten doch die angebotenen Massenunterkünfte abschreckend auf die Obdachlosen. „Die Stadt muss endlich Unterkünfte anbieten, die die Menschen auch annehmen“, fordert er. So könnten kurzfristig Wohnungen angemietet werden, die von einem Sozialarbeiter betreut werden. Auch wenn der Tote unter der Brücke nicht erfroren sei, so Karrenbauer, mache doch das Leben auf der Straße die Menschen nicht gesünder: „Viele Obdachlose sterben im Winter im Krankenhaus.“

Handlungsbedarf, auch und vor allem in medizinischer Hinsicht, sieht auch die Internistin Frauke Ishorst-Witte, die ambulant Obdachlose in der Tagesaufenthaltsstätte Bundesstraße betreut: „Auch wenn die Menschen auf der Straße nicht erfrieren, verschlimmert doch die Kälte den Gesundheitszustand erheblich.“ Der sei unter den geschätzten 1500 Obdachlosen in dieser Stadt ohnehin „signifikant schlechter“ als im Bevölkerungsdurchschnitt. Ishorst-Witte weiß: „Viele haben bereits eine chronische Lungenerkrankung. Wenn es dann richtig kalt wird, setzt sich da leicht was Akutes drauf.“

Die Ärztin hat im Rahmen einer Dissertation die Todesursachen von Obdachlosen untersucht. Da die medizinische Versorgung dieser Menschen schlecht sei – für 5000 Wohnungslose gebe es in ganz Hamburg nur drei ambulante Sprechstunden – würden viele Erkrankungen weder rechtzeitig diagnostiziert noch behandelt. Tod durch Hirnblutung, so die Ärztin, passe da ins Bild. So gebe es neben der Blutung durch Gefäßmißbildungen, die jeden schicksalhaft ereilen kann, auch Hirnblutungen, die durch „unbehandelten Bluthochdruck“ verursacht würden. Ishort-Witte: „Wenn Obdachlose Bluthochdruck haben, ist der fast immer unbehandelt. Denn der macht primär kein Symptom.“ Welcher Art die Hirnblutung des erst 40 Jahre alten Toten war, ist der Sozialbehörde nicht bekannt.

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