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Ausdehnung durch Reduktion

Die Verwirrung muss noch kleiner werden: Wie die mobile Veranstaltungsreihe „Sklavenmarkt“ ihre Spuren im sub- und hochkulturellen Leben Berlins hinterlassen hat

Ende des Jahres wurde die seit vier Jahren bestehende mobile Veranstaltungsreihe für Literatur, Film und Kunst – der „Sklavenmarkt“ – eingestellt. Sie wurde vom Bezirk Prenzlauer Berg gefördert und gastierte zuletzt im „Walden“ in der Choriner Straße. Genau genommen ging sie aus der Wendezeitung Die Andere des Neuen-Forum-Verlags „Basisdruck“ hervor. Dort tauchten bei den Regimekritikern Klaus Wolfram und Stephan Ret ab 1990 immer mehr Künstler auf, die mitmachen wollten.

Nachdem der „Basisdruck“-Verlag seine Zeitung eingestellt und die Kneipe „Torpedokäfer“ eröffnet hatte, produzierte diese Autorenschar dann die Monatszeitschrift Sklaven, die sich regelmäßig auch in der Kneipe präsentierte.

Damals konnte man noch nicht ahnen, dass die Wende sich bis in die Sätze fortsetzte – und der „Sklavenmarkt“ etwas künstlerisch zusammenbrachte, was nicht zusammengehört. Am produktivsten wurde und wird dieser Spagat von dem Ostwestost-Dichter Bert Papenfuß verkörpert.

Verkürzt gesagt, war es vor der Wende langweilig, eng und muffig, die „Verhältnisse“ schienen bombenfest. Die jungen Autoren experimentierten wie wild dagegen an: Ihre Texte waren anspielungsreich, kryptisch und beleidigend, aber auch agitierend. Sie schrieben in und für eine sich ausbreitende linke Szene. Diese Situation drehte sich vollkommen um: Es wurde immer ungemütlicher und unübersichtlicher – und dementsprechend kam den Autoren nunmehr die Aufgabe zu, die wachsende Komplexität zu reduzieren, sich wie Luhmannisten zu gerieren. Kurze, klare, wahre Sätze und Geschichten, die auch ein bisschen redundant sein dürfen.

Vor der Wende hatte der taz-Chefideologe Wolfgang Neuss noch gemeint: „Die Verwirrung muss größer werden!“ Jetzt ging es in „realistischen“ Häppchen andersherum. Man könnte von einem bloß auf den Kopf gestellten „Adolf Endler“ sprechen, der ja tatsächlich quasi hinter allen „Sklaven“-Aufständen stand, aber es musste ohne Nebensätze abgehen – und partout mit neuen „Faces“. Die wurden auch gefunden. Die Alten im Westen setzten sich den goldenen Schuss– wie „Fascho-Kurt“. Oder sie gingen auf schweren Entzug – wie Harry Hass, Claudius Wachtmeister und Rudolf Stoert.

Letzterer meldete sich übrigens gerade mit einer Wohnungslosengeschichte im Gegner, wie die Zeitschrift Sklave jetzt heißt, zurück. Aus dem „Sklavenmarkt“ heraus entwickelten sich dagegen inzwischen die Biografien von Falko Hennig und Wladimir Kaminer, die ihre Texterfolge immer umsichtiger ausbauen und nüchtern um ihre Existenz herumorganisieren. Letzterer bleibt jedoch mit seiner regelmäßigen „Russen-Disko“, ersterer mit seinem „Radio Hochsee“ dem „Torpedokäfer“-Nachfolger „Kaffee Burger“ in der Torstraße verbunden. Dort ist Bert Papenfuß nun für das Kulturprogramm verantwortlich. Der Dichter Frank Willmann, neben den Glücklichen Arbeitslosen und Anne Hahn Mitveranstalter des „Sklavenmarkts“, meinte zum Schluss, er wolle in Zukunft nichts mehr mit Papenfuß zusammen machen.

Ähnlich äußerte sich auch einmal Anett Gröschner, die den Übergang vom Sklaven zum Gegner nicht mehr mittat. Gerade veröffentlichte sie einen Roman: „Moskauer Eis“, davor ein Buch über den Magdeburger FC. Auch Frank Willmann war dann mit seinem 1. FC Union-Fanbuch sehr erfolgreich. Auf dem „Sklavenmarkt“ ging es natürlich demgegenüber stets um einen „dritten Weg“ – um Ausdehnung durch Reduktion genau genommen, wobei die Verdichtung nur eine Möglichkeit von mehreren darstellt. Es beteiligten sich auch Defa-Dokumentaristen, Dorothee Wenner vom Berlinale-Forum und jede Menge Musiker, inklusive Peter „Schappi“ Wawerzinek. Und nebenbei gelang im Pfefferberg noch eine „Messe für Geldbeschaffungsmaßnahmen“ zu Ehren von Arno Funke alias Dagobert, sowie eine fast regelmäßige Video-Monatsschau, die zuletzt von André Meier herausgegeben wurde.

Viele Mitwirkende landeten bei den neuen Literaturagenten, auf den Berliner Seiten der FAZ oder in der „Prater“-Volksbühne. Ein Reader namens „Utopie und Verlust“ (erschienen im Berliner Lukas-Verlag) versammelt jetzt noch einmal diese und andere „Sklavenmarkt“-Nutzer auf ein und derselben Oberfläche.

HELMUT HÖGE

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