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Halbe Freiheit an der Seine

Nach mehrjähriger Untersuchungshaft ist die angebliche Terroristin und „Carlos“-Komplizin, Christa Fröhlich, wieder auf freiem Fuß. Der zuständige Richter arbeitet bereits an einer neuen Inhaftierung

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Am schönsten ist es, morgens längs der Seine zum Hauptgericht zu gehen“, sagt Christel Fröhlich, „schön ist es auch, sich nicht mehr nach jedem Besuch nackt ausziehen zu müssen und Briefe selbst zukleben und in den Kasten stecken zu können.“

Diese Dinge fallen der 58-Jährigen als erste zu ihrer wiedergewonnenen Freiheit ein. Über fünf Jahre saß sie in Untersuchungshaft. Erst in Italien in einem Hochsicherheitstrakt, dann in Frankreich in einer Einzelzelle. Am Freitag vor Weihnachten traf völlig unerwartet ein Fax von Frankreichs mächtigem Anti-Terror-Richter, Jean-Louis Bruguière, im Gefängnis Fleury-Mérogis im Süden von Paris ein. Wenige Stunden später stand die Hannoveraner Deutschlehrerin, die der Richter für eine Gehilfin von Top-Terrorist „Carlos“ hält, auf der Straße.

Seither muss Christel Fröhlich jeden Morgen zur Unterschrift auf der Île de la Cité erscheinen. Die tägliche Kontrolle im Hauptgericht gehört zu den besonderen Schikanen, die sich Richter Bruguière für die langjährige Untersuchungsgefangene ausgedacht hat. Sie darf auch Paris nicht verlassen und keinen Kontakt zu bestimmten Personen aufnehmen. Ihre Anwältin Isabelle Coutant-Peyre hat Berufung gegen diese Auflagen eingelegt. Sie nennt sie einen „Skandal“ und eine „neue Manipulation“ des Richters, der sich vorbehalte, Christel Fröhlich jederzeit erneut zu inhaftieren.

Bruguière hält Christel Fröhlich für die „blonde Frau“, die in Jugoslawien den Opel Kadett besorgte, der bei dem Attentat in der Pariser Rue Marbeuf als Bombendepot diente. Doch 18 Jahre nach dem Attentat, bei dem eine Frau umkam und 63 Menschen verletzt wurden, fehlen ihm offenbar immer noch Beweise.

Stattdessen liegen Dementis vor. Eines von der damaligen „Carlos“-Gattin Magdalena Knopp, gegen die an jenem Apriltag 1982, als die Bombe in der Rue Marbeuf explodierte, ein Prozess in Paris eröffnet wurde. Und eines von Christel Fröhlich selbst. Ganz am Anfang ihrer Untersuchungshaft erklärte sie: „Mit dieser Sache habe ich nichts zu tun – weder politisch noch persönlich.“ Seither schweigt Christel Fröhlich so hartnäckig, wie schon in Italien, wo sie in den 80er-Jahren sechseinhalb Jahre absaß, nachdem sie mit Sprengstoff und falschen Papieren verhaftet worden war. Und wie in Deutschland, wo ihr jedoch nie die Mitgliedschaft und Rädelsführerschaft in einer „terroristischen Organisation“ – gemeint waren die Revolutionären Zellen – nachgewiesen werden konnte.

Bei den Verhören las Richter Bruguière seine Fragen vom Blatt ab. Christel Fröhlich, die ihn weder besonders gut vorbereitet noch besonders brillant fand, machte als seine Hauptinformationsquelle Akten der Geheimdienste früherer sozialistischer Staaten Osteuropas aus. Vor allem aus Ungarn und der DDR.

Die Ermittlungen in Paris verärgerten zuletzt auch das Auswärtige Amt in Berlin. Via Deutsche Botschaft in Paris drängte es auf ein schnelles Verfahren. Im vergangenen Jahr schließlich reichte ein Anwalt von Christel Fröhlich Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.

Verfahrenstricks und brachiale Methoden gehören zu den Spezialitäten Bruguières. Sein dickstes Dossier füllt der Venezolaner Ilitsch Ramírez Sánchez alias „Carlos“. Das Visavis mit dem „Top-Terroristen“ verdankt der Richter einer spektakulären Operation französischer Geheimdienste. Im Sommer 1994 spürten sie „Carlos“ im Sudan auf, betäubten ihn mit einer Spritze und entführten ihn nach Paris. Zwar bekam er dort wegen Polizistenmordes „lebenslänglich“. Doch bei den Ermittlungen über zahlreiche Attentate der 70er und 80er, die „Carlos“ zur Last gelegt werden – darunter jenes von der Rue Marbeuf – kommt der Richter nicht voran. In Zweifelsfall lässt er verlauten, er stehe „kurz vor der Aufklärung“.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres kommt dem Richter das neue Gesetz „über die Unschuldsvermutung“ in die Quere. Erstmals setzt es eine Obergrenze für die Untersuchungshaft fest. Wenn nach vier Jahren nicht genug Beweise für eine Anklageerhebung vorliegen, müssen Häftlinge freigelassen werden. Außer Frankreich und Italien haben EU-Länder derartige gesetzliche Obergrenzen. Frankreich ist wegen dieses Mangels vielfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden.

Um Christel Fröhlich trotz dieses neuen Gesetzes länger in Hand zu halten, stellte Bruguière Ende vergangenen Jahres einen neuen Auslieferungsantrag an Italien. Dieses Mal wegen eines anderen, 18 Jahre zurückliegenden Anschlags auf den Schnellzug „Capitole“ zwischen Paris und Toulouse. Sollte Italien zustimmen, könnte ein neues Ermittlungsverfahren beginnen – und eine neue Untersuchungshaft für Christel Fröhlich.

Sie spricht deswegen auch nur von „halber Freiheit“ und will so schnell wie möglich nach Deutschland. Nach Hannover, zu ihren Freunden und ihrer Arbeit als Deutschlehrerin. Eine Reise nach Italien, wo ihr zu „lebenslänglich“ verurteilter Gatte Sandro Padula, ein Exmitglied der „Roten Brigaden“, derzeit erste Erfahrungen als Freigänger macht, plant sie nicht. Bei ihrem letzten Gefängnisbesuch am 28. Oktober 1995 kam sie dort auf Ersuchen von Richter Bruguière in die Abschiebehaft.

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